Verkündigung in der neuen digitalen Öffentlichkeit

Von Dr. Klaus Douglass

Schon früher habe ich sie gern besucht: die jährlich von der AMD (heute Teil von midi) veranstaltete „Fachtagung Evangelisation“. Ich erinnere mich noch, wie wir im Januar vor zwei Jahren zum Thema „Gott im Netzwerk. Digitale Wege der Evangelisation“ tagten und den Eindruck hatten, in dieser Frage noch ganz am Anfang zu sein. Wir waren gut 30 Leute.

Wer konnte ahnen, dass die damals geplante Fortsetzung im Januar 2021 über 300 Teilnehmende auf den Plan rufen würde? Gerade mal eine Verzehnfachung. Gründe dafür kann man durchaus benennen (etwa, dass wir mit unserem Thema „Verkündigung in der neuen digitalen Öffentlichkeit“ voll den Nerv der coronaren Zeit getroffen haben), und doch ist es für uns nicht mehr und nicht weniger als ein Wunder. Nach Beendigung der Tagung war ich völlig platt und gleichzeitig total begeistert.

Drei „Learnings“ aus dieser Tagung möchte ich kurz mit Ihnen teilen:

Zum einen: Eine digitale Kirche ist eine Beteiligungskirche.

Solange wir uns damit zufriedengeben, Gottesdienste abzufilmen und bei YouTube zu streamen oder unsere Predigten ins Netz zu stellen, haben wir nicht einmal ansatzweise verstanden, was digitale Kirche bedeutet. Predigten und Gottesdienste hochzuladen hat zwar in der Coronakrise einen echten Boom erlebt, aber in der Regel erreicht man damit nur die Leute, mit denen man bereits vorher im Gespräch war.

Nein, die neue digitale Öffentlichkeit möchte nicht nur artig lauschen, was wir an Weisheiten und Gedanken anzubieten haben. Die digitale Welt ist hochkommunikativ. Sie ereignet sich in einem Prozess des Gebens und Nehmens, in dem das aufmerksame Hinhören mindestens ebenso wichtig ist wie das eigene Sprechen. Jede Art von Verkündigung, die dieses aufmerksame Hinhören nicht integriert, ist zum Scheitern verurteilt – das gilt schon für die analoge und erst recht für die neue digitale Welt.

Wer an Interaktion, Partizipation und offenem Diskurs kein Interesse hat, wird darum im digitalen Raum keine nachhaltige Resonanz finden.

Zum anderen: Eine digitale Kirche ist eine dezentrale Kirche.

Es ist vielen Amtsträgern, die von den neuen digitalen Möglichkeiten schwärmen, nicht ganz klar, dass wir mit der digitalen Welt vor einem ganz neuen Typus von Kirche stehen. Da werden nicht nur die Grenzen der Ortsgemeinde gesprengt, weil sich an einem Gottesdienst oder einer Bibelstunde auch Menschen von weither beteiligen können. Auch Hierarchien werden deutlich aufgelöst.

Ich habe nun schon verschiedentlich digitale Tagungen und Workshops erlebt, in denen es zum Setting gehörte, dass man sich duzte und gerade nicht mit Amt und Titel vorstellte. Da war der Bischof auf einmal der „Heinz“ und die berühmte Professorin die „Helga“ und sie standen auf gleicher kommunikativer Ebene mit Max und Joana, von denen man vorher noch nie gehört hatte.

In einer solchen Gestalt von Kirche haben markige Botschaften der sogenannten „öffentlichen Verkündigung“, die allzu oft noch von oben nach unten gedacht und ausgerichtet werden, keine große Chance. Digitale Kirche ist hochgradig basisdemokratisch. Ich glaube ja immer noch, dass sich gute Argumente durchsetzen. Aber Autoritäten im Netz definieren sich nicht über Wahlen, Ordination oder Beamtenkarrieren, sondern aus der Schwarmintelligenz heraus. Noch einmal: Wir stehen vor einem völlig neuen Typ von Kirche.

Und schließlich: Der durch Corona ausgelöste digitale Schub in unserer Kirche ist unumkehrbar.

Die vielen oft auch jüngeren Menschen, die letztes Jahr zu Hunderten am Hackathon, an unseren midi-Tagungen oder anderen vergleichbaren Formaten teilgenommen haben, werden sich nach Corona nicht wieder brav in die Kirchenbank zurücksetzen. Dort haben sie wahrscheinlich auch vorher nicht gesessen. Aber plötzlich waren sie da und zeigten uns, dass die Kirche, deren Abgesang in der Postmoderne oft besungen wurde, sehr wohl eine Zukunft hat. Wir alle (auch die „digital natives“) sehnen uns nach der Zeit, in der wir uns nicht mehr nur über Zoom oder YouTube, sondern leibhaftig treffen und begegnen können.

Und doch sind die digitalen Begegnungsformen keine bloße Notlösung und auch kein Provisorium, das es möglichst bald hinter sich zu bringen gilt. In ihnen zeichnet sich vielmehr ein Stück der Zukunft unserer Kirche ab. Wir tun gut daran, offen darauf zuzugehen.

Die Zukunft der Kirche wird analog und digital sein. Beides darf und wird nicht gegeneinander stehen. Nur Hand in Hand miteinander werden wir ausführen, was Jesus uns aufgetragen hat: allen Menschen in Wort und Tat das Evangelium zu bringen.

Alle Vorträge der Veranstaltung haben wir für Sie in einer YouTube-Playlist zusammengestellt.

Video von Youtube laden?
Youtube erfährt dadurch über Deinen Besuch auf dieser Seite.