Warum das „mi“ für midi so wichtig ist
Mark Twain soll einmal gesagt haben: „Von einem guten Kompliment kann ich ein halbes Jahr lang leben.“ Was meint Twain mit einem „guten“ Kompliment? Wahrscheinlich eins, das aufrichtig wertschätzend und ohne Nebenabsicht ist. Da fallen wahrscheinlich über 80 Prozent der Komplimente, die wir so hören, durch das Raster. Denn viele von ihnen sind zumindest latent manipulativ: Sie benennen ein positives Verhalten, von dem derjenige, der das Kompliment ausspricht, gerne mehr hätte.
Die Psychologie spricht hier ganz unverhohlen von „positiver Verstärkung“ (und nicht etwa von Anerkennung oder Wertschätzung): „Ich bin so froh, Frau Meier, dass Sie für unsere Firma so viele Überstunden machen!“ Und nicht selten ist ein Kompliment lediglich die besänftigende Einleitung für die eigentliche Botschaft, die eher kritisch ausfällt: „Herr Müller, ich schätze Ihre Kreativität, aber Sie treiben den Laden damit zum Wahnsinn.“ Echte, einfach nur wertschätzende Komplimente ohne verborgene Nebenabsicht sind wirklich selten.
Ich bekomme häufig ehrlich wertschätzende Komplimente für unsere Arbeit bei midi. Sie sind nicht manipulativ gemeint. Und doch sagen sie oft sehr viel über den Menschen aus, der das Kompliment ausspricht. Denn natürlich loben Menschen vor allem jene Aspekte unserer Arbeit, die ihnen besonders wichtig sind.
Neulich sprach mich zum Beispiel jemand an und sagte: „Tolle Sachen, die ihr bei midi macht, wirklich! Ich bin sehr beeindruckt: eure große Corona-Studie, die Toolbox Sozialraumarbeit oder – ganz aktuell – die VerständigungsOrte. Ihr macht einen super Job.“ Ich wollte mich gerade für ein halbes Jahr freuen, da fuhr mein Gesprächspartner fort: „Nur warum gebt ihr euch mit solchen Themen ab wie Glaubenskursen, Bibellesen, Hauskreisarbeit oder Evangelisation? Ihr seid eine super innovative Arbeitsstelle. Warum schleppt ihr derart ‚alte Hüte‘ mit euch herum?“
Ich musste unwillkürlich lachen. Der Mensch, mit dem ich sprach, war – wie ich wusste – ein großer Fan des klassischen Gottesdienstes. Und er stand für kirchliche Hierarchiemodelle, die irgendwann einmal im Mittelalter für eine völlig andersgeartete Gesellschaft entwickelt worden waren. Und doch zögerte er nicht, Glaubenskurs- oder Bibelwochenarbeit oder Trainings zur Sprachfähigkeit im Glauben als „alte Hüte“ zu bezeichnen. – Gleichzeitig merkte ich, wie sehr ihn die Frage bewegte. Sie begegnet mir in der Tat immer wieder: „Ihr bei midi macht tolle Arbeit für Kirche und Diakonie – wozu aber braucht es das ‚mi‘ – das Missionarische (bzw. ‚Missionale‘, wie man es heute oft nennt)?“
Ein Blick in die aktuelle Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung
Wie weit verbreitet diese Auffassung bzw. Fragestellung ist, spiegelt sich auch in der aktuellen Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung (KMU 6) wider, der zufolge die Kirche in der Bevölkerung zwar breite Zustimmung im 80-Prozent-Bereich für ihre sozial-diakonische Arbeit und ihre Beratungstätigkeit erfährt, in der aber mehr als die Hälfte sagt, Religion bedeute ihnen nichts (55%) und sie empfänden es als eher unangenehm, wenn Menschen sich religiös äußern (57%). Die gesellschaftliche Platzanweisung ist eindeutig:
Liebe Kirche, kümmere dich um die Menschen und hilf, wo Not am Mann oder der Frau ist. Aber lass uns bitte mit religiösen Themen in Ruhe.
Nun definieren weder die Gesellschaft noch unsere Mitglieder, was unser Auftrag ist, sondern unser Herr Jesus Christus. Aber diese Fragestellung ist nicht nur bei den Menschen „da draußen“ virulent, sondern geht bis in die höchsten Leitungsebenen mitten durch unsere Kirche hindurch.
Es herrscht außer- wie binnenkirchlich ein großer Konsens über die Devise: „Diakonie ja. Kirche vielleicht (wenn sie sich ändert). Mission nein.“ Und gerade nach Veröffentlichung der KMU fragen sich einige: „Können wir uns nicht auf das Kirchlich-Diakonische beschränken und die religiösen Arbeitsbereiche zurückbauen?“
Diakonie ja. Kirche vielleicht (wenn sie sich ändert). Mission nein.
Nein, können wir nicht. Wir als midi schon mal gar nicht. Unsere satzungsgemäße Aufgabe ist es, Kirche, Diakonie und Mission zusammenzudenken und zusammenzubringen. Dabei machen wir immer wieder die Erfahrung, dass das Missionarische bzw. Missionale als erstes unter den Tisch fällt.
Denn dass Kirche sich weiter entwickeln muss, daran besteht angesichts dessen, dass uns die Menschen mehr und mehr davonlaufen, kein Zweifel. Und dass in unserer Gesellschaft ein enormer Bedarf an diakonischer Zuwendung existiert, ja dass er ständig wächst, ist ebenso offensichtlich. Eine ähnliche Plausibilität fehlt unserem missionarischen Engagement. Wieso sollen wir neben unserem kirchlichen und diakonischen Engagement auch noch dafür Sorge tragen, dass Menschen zu einem lebendigen Glauben an Jesus Christus kommen? Warum werfen wir diesen „Ballast“ nicht über Bord?
„mi“ ist der Schlüssel
Mission bedeutet, Menschen an einen lebendigen, lebenstransformierenden Glauben an Jesus Christus heranzuführen. Verstehen Sie mich recht: Wir sind keinesfalls der Meinung, dass sich alle in Kirche und Diakonie um missionarische Themen kümmern müssen. Es gibt am Leib Christi unterschiedliche Begabungen und Berufungen. Aber es gehört zu unserer DNA bei midi, alles drei zusammenzuhalten. Und dafür ist das „mi“ in vielerlei Hinsicht der Schlüssel.
Man kann die Arbeit bei midi in vielfacher Weise beschreiben: Sie ist ungewöhnlich, innovativ und bunt. Sie ist gleichzeitig loyal wie radikal. Sie ist gleichzeitig gesellschaftsrelevant wie fromm. Und ja, sie ist hier und dort vermutlich auch frech. Aber: Nehmen Sie das „mi“ aus dem Gesamtkonstrukt unserer Arbeit heraus, und das Ganze fällt wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Das „mi“ ist die verborgene Achse, um die sich unsere Arbeit dreht. Ohne „mi“ würden wir die Arbeit vieler anderer kirchlicher und diakonischer Arbeitsstellen lediglich doppeln.
Die Diakonie versteht sich ihrem Ursprung nach als „Glaube, der in der Liebe tätig ist“ (Gal 5,6). Doch zu diesem Glauben muss man erst mal finden. Wie soll das geschehen, wenn wir nicht mehr im guten Sinne „Mission“ betreiben? Natürlich gibt es auch Liebe ohne Glauben – Gott sei Dank! Aber berauben wir uns ohne Glauben nicht einer gewaltigen Motivation und Kraftquelle: sowohl für die diakonisch Tätigen als auch für die „Empfängerinnen“ unserer diakonischen Tätigkeit?
Berauben wir uns ohne Glauben nicht einer gewaltigen Motivation und Kraftquelle?
Ähnliches gilt für die Kirche. Man zitiert heute gerne Bonhoeffer, der geschrieben hat, Kirche sei nur Kirche, wenn sie für andere da sei. Dem ist nur voll und ganz zuzustimmen. Das bedeutet aber nicht, dass sich Kirche in ihrem Dasein für andere erschöpft. Der Wiener Theologe und Medizinethiker Ulrich Körtner kommentiert Bonhoeffers Satz wie folgt: „Um Kirche für andere zu sein, muss sie aber überhaupt erst einmal Kirche sein, die sich von Christus her auf Christus hin versteht.“
Daher ist das „mi“ für uns als midi unabdingbar. Ohne den Faktor des Missionarisch / Missionalen steht die Kirchenentwicklung in Gefahr, zu reiner Organisationsentwicklung und das Diakonische, zu reiner Sozialarbeit zu werden. Darum bringen wir diesen Aspekt in Kirche und Diakonie ein. Auch wenn viele den Kopf schütteln und es nicht allen gefällt. Wir können Kirche und Diakonie kaum einen besseren Dienst tun, als das „mi“ hochzuhalten.