Wir sind mehr – früher waren wir weniger

Ein Lob auf die kirchliche Statistik

Es ist der 4. Sonntag nach Trinitatis 2021. Eine Dorfkirche irgendwo im entkirchlichten Grenzgebiet zwischen Sachsen und Thüringen. Die kleine Gemeinde hat sich zum Gottesdienst versammelt. Das Durchschnittsalter ist typisch hoch. Nach dem kurzen Orgelintro und dem eröffnenden Votum durch die Pfarrerin, tritt die Kirchenvorsteherin an das Lesepult. Sie legt das alte, dicke Kirchenbuch vor sich hin. Dann schaut sie in die versammelte Gemeinde und fragt: „Welches Jahr?“ „1969!“ ruft jemand schnell aus der fünften Bankreihe.

Die Kirchenvorsteherin öffnet das Buch und schlägt es am 4. Sonntag nach Trinitatis 1969 auf. „Zwölf“, liest sie laut vor. Sofort wandern die Blicke aller Gottesdienstteilnehmerinnen und der drei Gottesdienstteilnehmer durch die Bankreihen und man hört murmelndes Zählen.

„Vierzehn, nein fünfzehn!“, erleichtert stellen die Anwesenden fest, sie haben es wieder geschafft. Sie sind mehr als damals in der guten, alten Zeit. Mehr Gottesdienstbesuchende als vor 52 Jahren, wo doch damals noch so viele mehr Mitglied der Kirche waren.

Seit mehreren Monaten machen sie das jetzt schon. Jeden Gottesdienst beginnen sie so und fast immer ist das Ergebnis wie heute. Wir sind mehr. Und das ist auch gut so. Es ist sogar mehr als gut. Die Statistik entfaltet ein Gefühl der Bestätigung. Sie widerspricht der deprimierenden Grundstimmung des „Wir werden immer weniger“, sondern lässt die Wahrheit leuchten: „Wir sind mehr“.

Die gute, alte, fromme Zeit war gar nicht so fromm – zumindest nicht die Menschen damals.

Wenn heute 15 zum Gottesdienst versammelt sind, dann ist das nicht wenig, bloß weil die Kirche mit ihren 100 Sitzplätzen fälschlich vor Augen führt, dass sich hier mindestens noch 85 weitere Besuchende jeden Sonntag einfinden müssten. Die Wahrnehmungsberichtigung durch das Kirchenbuch spricht der kirchlichen Statistik nicht nur eine wahrheitsbildende, sondern auch eine seelsorgliche und motivierende Funktion zu.