Was brauchen Menschen, um geistliche Verantwortung zu übernehmen?
Anke Wiedekind ist Pfarrerin in Cochem, einer Stadt an der Mosel. Zu ihrer Gemeinde gehören 77 Dörfer und Städte aus drei Regionen: dem Moseltal, der Eifel und dem Hunsrück. Das ländlich geprägte Gemeindegebiet umfasst damit 40 km. Anders als eine Gemeinde, die sich auf einen Ort oder Stadtteil konzentriert, versucht Ankes Gemeinde ihre Arbeit regional zu verstehen. Davon erzählt sie in der ersten Folge „Highlige Stätte“ im Jahr 2022.
Bei „Highlige Stätte“ stehen nicht Personen, sondern Orte im Spotlight. Getreu dem biblischen Motto „Fürwahr, Gott ist an dieser Stätte, und ich wusste es nicht!“ (Gen 28,16) erzählen Menschen von Geschichten des Aufbruchs, die Gott an ihrem Ort schreibt.
Hier könnt ihr das Instagram Live mit Johanna Kalinna und Anke Wiedekind ansehen.
Anke beschreibt in dem Talk die Herausforderungen ihrer Regionen. Sie ist immer bemüht, die Balance zwischen der Arbeit vor Ort und in der Fläche nicht aus dem Blick zu verlieren. Dabei sucht sie nach Menschen, die in ihrem jeweiligen Wohnort zu einer Art ehrenamtlichen „Pastor:in“ werden und dort nach den Menschen schauen. Die Hauptamtlichen können den persönlichen Kontakt zu den Gemeindegliedern in 77 Ortschaften gar nicht mehr aufrecht erhalten.
Im Kinder- und Jugendbereich versucht die Pfarrerin exemplarisch Fresh X-Haltung und Gemeinde miteinander zu verbinden. Vor allem das Zusammenspiel aus Partizipation und Leitung ist ihr wichtig. Kinder und Jugendliche können ihre eigenen Entscheidungen treffen und lernen dabei, in der Gemeindearbeit Verantwortung zu übernehmen.
Anke bewegt in ihrer Arbeit die Highlige Frage „Was brauchen Menschen, um geistliche Verantwortung zu übernehmen?“. Die Menschen, die zur Gemeinde gehören, wollen vor Ort angesprochen werden. Das gelingt bei dieser großen Fläche nur mit Ehrenamtlichen. Als Leitung und Trainerin der Ehrenamtlichen stellt sich die Pfarrerin immer wieder die Frage, welche Bedürfnisse die Engagierten haben und wie sie die bestmögliche Unterstützung erhalten können.
Ankes Highlige Frage hat uns an Kahaila erinnert, einen einzigartigen Ort in London, an dem christlicher Glaube und Gemeinschaft im Viertel entdeckt und gelebt werden können.
Kahaila
Kahaila ist auf den ersten Blick ein Café im hippen Londoner Stadtteil Bricklane. Aber eigentlich ist es so viel mehr. Der baptistische Pastor Paul Unsworth hat mit Kahaila nicht nur ein Szene-Café eröffnet, sondern vielmehr eine Kirche für diesen Stadtteil gegründet.
Hierbei handelt es sich jedoch nicht um eine Gemeinde in einem altehrwürdigen, klassischen Kirchengebäude, die nach dem Gottesdienst eine kleine Café-Ecke einrichtet. Ausgehend vom Publikum des Stadtteils und den Mitgliedern der Gemeinde hat sich mit Kahaila ein einzigartiger Ort entwickelt, an dem christlicher Glaube und Gemeinschaft im Viertel entdeckt und gelebt werden können – und dies in Form eines Cafés.
Paul Unsworth sagt „Wir wollen keine pastorenzentrierte Kirche sein, wo der Hauptamtliche allein die Vision hat und dann Menschen finden muss, um diese Idee umzusetzen. Wie wäre es stattdessen, wenn die Vision wäre, Menschen dabei zu ermutigen und zu unterstützen, die Ideen umzusetzen, die Gott schon in ihr Herz gelegt hat?“.
Durch diese geistliche Haltung, den ermutigenden Leitungsstil sowie durch die Liebe zum Ort und den Menschen des Stadtteils sind aus dem Café weitere innovative sozialdiakonische und gemeinwesenorientierte Arbeitsbereiche entstanden. Die Impulse dazu kamen jeweils von einzelnen Mitgliedern der Gemeinde.
So gehört zu Kahaila auch die angegliederte Bäckerei Luminary Bakery, die das Café mit eigenen Backwaren versorgt und gleichzeitig Frauen einen (Wieder-) Einstieg in die Berufstätigkeit ermöglicht. Oft stammen die beschäftigten Frauen aus Kontexten häuslicher Gewalt, sozialer und finanzieller Benachteiligung oder Wohnungslosigkeit.
Manche der Frauen stammen auch aus einem weiteren sozialen Tätigkeitsfeld von Kahaila, Ella’s, das sich besonders den Opfern von Menschenhandel und Prostitution widmet und Begleitung, Beratung, Beschäftigung und Unterbringung sicherstellt.
Ähnlich wie Ella’s, ist auch das Arbeitsfeld Essence, das junge Frauen während und nach Gefängnisaufenthalten unterstützt, mittlerweile zu einer so großen und eigenständigen Organisation geworden, das sie sich finanziell selbst tragen kann und wiederum weiteren Menschen ein Ort von christlichem Engagement und Gemeinschaft im Stadtteil ist.
Alle diese gemeinwesen- und sozialraumorientierten Arbeitsfelder atmen jedoch deutlich den Ursprungsgeist von Kahaila, die Ermutigung, dass Menschen geistlich Verantwortung für den Stadtteil übernehmen.
Eine neue Folge „Highlige Stätte“ gibt es am Mittwoch, den 26. Januar 2022 um 18 Uhr im Instagram Live auf dem Account @hallo_midi.
Veränderung in der Kirche ist möglich und sie kann vom Ort inspiriert werden. Aus dieser Grundidee heraus haben midi und die Erprobungsräume der Evangelischen Kirche im Rheinland ihr gemeinsames Talkformat „Highlige Stätte“ auf Instagram gestartet. Durch Fragen nach Mut machenden Geschichten von relevanter und kontextueller Theologie wollen sie dazu einladen, Kirche vielfältig zu gestalten.