Metamorphose statt Niedergang der Kirche

Prolog

Nachgerade inflationär wird in der jüngsten Vergangenheit dem medial weit verbreiteten Bild einer Kirche im Niedergang innerkirchlich das Wort geredet oder gar grundsätzlich die Frage nach der Zukunftsfähigkeit von Kirche aufgeworfen. Exemplarisch hierfür stehen Veranstaltungstitel wie „Flug-Versuche im Abwind“ (2023), „Vom Untergang der Titanic. Werkstatt für Visionär:innen“ (2022) oder „Auflösung. Kirche reformieren, unterbrechen, aufhören?“ (2022). Zahlreiche Buchtitel, die ähnlich im Tenor in den zurückliegenden Jahren auf den Markt gekommen sind, unterfüttern das Narrativ einer „Kirchenkrise“.

Sackgasse Krisenrhetorik

Versteht man in Anlehnung an Reinhart Koselleck Krisen „als ein Wandel gesellschaftlicher Erwartungen, die dann die Erfahrungen prägen“, so tritt „neben die Angst vor dem Niedergang ein utopischer Moment. Zugleich bezieht sich ihre Bewertung oft auf eine idealisierte Vergangenheit. Dabei geht die Krisenperzeption mit der Konstruktion von Normalität einher, die vorher bestand und wieder erreicht werden soll.“1 Die Rede vom Niedergang der Kirche ist demnach nichts anderes als Ausdruck einer Sehnsucht nach dem Normal einer volkskirchlichen Blütezeit vergangener Jahre.

Vielfach gewinnt man den Eindruck, dass die innerkirchliche Krisenrhetorik die Funktion hat, Druck zu erzeugen, damit vor Ort Veränderungen vollzogen werden. Dahinter verbirgt sich nicht selten die in der institutionalisierten Sozialform von christlicher Religion seitjeher weit verbreitete Strategie, mit Angst – gegenwärtig in Form des Narrativs vor dem Niedergang der Kirche - Macht auszuüben.2

Metamorphose der Welt

Folgt man den konzeptionellen Überlegungen von Ulrich Beck3 , wonach sich die Welt im 21. Jahrhundert ver-wandelt, eine Metamorphose durchlebt, die die Formen des menschlichen Daseins und des In-die-Welt-gestellt-Seins infragestellt, so kann mit Blick auf die Herausforderungen, vor denen Kirche gestellt ist, und das Bemühen, diese mit den herkömmlichen Strategien beherrschbar machen zu wollen4 , als begrenzt und nur unzulänglich befriedigend bezeichnet werden.

Die Welt entwickelt sich gegenwärtig offensichtlich infolge der Nebenfolgen der Modernisierung ins phänomenologisch noch Unbestimmte.5 Mensch und Gesellschaft sind dabei sowohl Subjekte als auch Objekte der von Beck beschriebenen Metamorphose. Auf der Hand liegt, dass den Menschen durchaus bewusst ist, dass gegenwärtig aber auch für die nahe Zukunft der Alltag und das Leben im Kontext des Unbestimmten stattfindet.

Das Bewusstsein um die eigene Vulnerabilität wie auch die Vulnerabilität der Gesellschaft oder der Erde ist vorhanden oder besser: ist durch Pandemie und Klimawandel der Mehrheit der Menschen in Deutschland bewusster geworden. Es scheint zwingend erforderlich, hierfür vor allem eine positive Erzählung zu finden, die sich nicht durch Chiffren der Moderne wie „Fortschritt“, „Transformation“ und dergleichen selbst begrenzt. Es braucht Narrative, die die Kontingenz wieder einblenden, die im Zuge der Moderne an vielen Stellen zugunsten einer funktionalen Risikominimierung das Nachsehen hatte. Kirche als Erzählgemeinschaft könnte hier eine bedeutsame Rolle spielen.

Metamorphose der Kirche

Die institutionalisierte Sozialform von Religion, nämlich Kirche als Kirche mitten in der Welt, kann sich von der Metamorphose der Welt nicht entkoppeln. Wenn sich die Welt gegenwärtig in einer Metamorphose befindet, ist der Wandel, dem Kirche derzeit unterliegt, nichts anderes als ein Ausdruck eben dieser Metamorphose.

Die Natur der Metamorphose ist es, dass aus einer Raupe ein Schmetterling wird. „Dazwischen“ findet eine Ver- und Entpuppung statt. In genau dieser Phase des „Da-Zwischen“ befindet sich Kirche. Die Jahre der volkskirchlichen Blütezeit sind unwiderruflich zu Ende gegangen, das Kirche-Sein im Neuen noch vielfach unbestimmt.

In der Biologie ist die Metamorphose mit einem mehr oder weniger starken Formwechsel verbunden (Gestaltwechsel), der einen entsprechen Auf-, Um- oder Abbau von Körperstrukturen, gegebenenfalls auch von Körperfunktionen, mit unterschiedlichem Zeitablauf bedingt. Und dennoch bleibt die DNA von Raupe und Schmetterling identisch.

Folglich haben wir es bei der gegenwärtigen Metamorphose der Kirche mit einem organischen Gestaltwechsel und einer Verwandlung von Strukturen und deren Funktionen zu tun. Die zentrale Frage scheint zu sein, was die DNA der institutionalisierten Sozialform von Religion, der Kirche, ist.

Die DNA der Kirche

Die Ressource der Kirche ist der Glaube, der sich im Beziehungsgeschehen vollzieht: sowohl in Beziehung auf Christus (in christo) als auch in Gemeinschaft mit anderen Gläubigen.

Der Aufbruch ins Unbestimmte, derzeit häufig von Zweifeln, Zaghaftigkeit und Kleinmut begleitet, war biblisch stets vom Gottvertrauen getragen und dort die Grundmelodie des wandernden Gottesvolkes.

Die Wirkmacht der Kirche ist die ‚Religion der Liebe‘, verstanden als Gottesliebe, Selbst- und Nächstenliebe. Man könnte in Anlehnung an Bonhoeffer formulieren: Eine Kirche, die ihre Liebe an Bedingungen knüpft, hört auf Kirche zu sein.

Was die konfessionsgeschichtlich gewachsene, institutionelle Sozialform Religion in Deutschland zudem auszeichnet, ist: das diakonisch-kirchliche Kapillarsystem, das soziale Nähe herstellt und das als Netzwerk gemeinwesenprägend ist und zivilgesellschaftlich seinesgleichen außerhalb des Staates sucht. Referenzpunkt des Kapillarsystems ist die soziale Nähe. Ob diese parochial organisiert wird oder in größeren, sozialräumlich relevanten Netzwerkstrukturen ist zweitrangig, solange der Kipp-Punkt, an dem soziale Nähe nicht mehr hergestellt werden kann, nicht überschritten wird.

Verpuppte Kirche

Nicht wenige in der Kirche leiden gegenwärtig. Seit Jahren ist in vielen Gemeinden der Gottesdienst rückläufig, die Bereitschaft, sich konfessionell trauen zu lassen ist von 1953 von 80% auf unter 20% im Jahr 2019 gesunken. Hinzukommt der enorme Aderlass bei den Mitgliederzahlen, bedingt durch Demographie und Kirchenaustritt. Es ist mit Händen zu greifen, dass die kirchliche Praxis, wie sie in den zurückliegenden Jahrzehnten vorherrschend war, nicht mehr nachhaltig bei einer Mehrheit der Menschen auf fruchtbaren Boden fällt, der Samen des Glaubens also nicht mehr seine Wirkmacht entfaltet. Erst jüngst hat der Bertelsmann-Religionsmonitor in seiner vierten Ausgabe erneut ans Tageslicht befördert, dass die Zeiten der bruchlosen Vermittlung des Christlichen durch religiöse Sozialisation und damit einhergehender kirchlicher Beheimatung weithin Geschichte sind. Die volkskirchliche Epoche, in der aus einer Kultur der Selbstverständlichkeit geschöpft werden konnte, ist zu Ende. Es verwundert nicht, dass das Frustrationspotential bei denjenigen, die nach wie vor Mitglied der Kirche sind, sich dort engagieren und sich beheimaten, groß ist. Hinzukommt, dass in allen Landeskirchen seit zwanzig Jahren – nicht selten kurzatmig - eine Strukturreform die nächste jagt, um den mit dem Mitgliederrückgang einhergehenden finanziell weniger werdenden Möglichkeiten vorausschauend Rechnung zu tragen.

Vor bald zehn Jahren hat der damalige Bundespräsident Joachim Gauck auf dem EKD-Zukunftsforum 2014 in Wuppertal der Evangelischen Kirche schon Wegweisendes zugerufen, als er dazu mahnte, dass „unser Glaube kein Ruhekissen ist, schon gar nicht für bürgerliche Gemütlichkeit. Er forderte dazu auf, „uns immer wieder selber in Frage zu stellen, unser Tun immer wieder zu reflektieren und unsere Lebenspraxis zu verändern.“ Im Übrigen sei es für diese Gesellschaft und für dieses Land auch nicht gleichgültig, „wie in der Kirche von Gott gesprochen wird – ja, ob überhaupt vernehmbar und verstehbar von Gott gesprochen wird.“6

Die gegenwärtige Lage der Kirche fordert nachgerade zum einen dazu auf, den vielerorts bereits eingeläuteten Gestaltwechsel weiter geruhsam voranzutreiben, allerdings zugleich auch zum Innehalten, um der Doppel-Frage nachzugehen, was eigentlich für uns in Kirche, aber auch für die Menschen die Frage ist, auf die der Glaube gegenwärtig noch die Antwort sein kann. Wenn es der Kirche gelingt diese Fragen ergebnisoffen zu stellen und sich von den Antworten neugierig überraschen und herausfordern zu lassen, wird auch die Ent-Puppung schmerzfreier und hoffnungsvoller gelingen.

Entpuppende Kirche

Eine sich entpuppende Kirche wird vermutlich dann am ehesten ihre Wirkmacht entfalten, wenn sich in dem, was sie sagt und tut, die ‚Religion der Liebe‘ ausdrückt. Dann werden Menschen darin ein authentisches Zeugnis dessen wahrnehmen können, was die Erzählgemeinschaft Kirche ausmacht: ein Ergriffensein vom Geheimnis des Glaubens.7

Der Nährboden dafür ist kein schlechter. Einer Civey-Umfrage, von midi im Dezember 2022 in Auftrag gegeben, zufolge finden 33,3% der Menschen in Deutschland in den gegenwärtig unsicheren Zeiten im christlichen Glauben Halt und Orientierung. Rund ein Drittel der Menschen in Deutschland betet täglich. Laut Bertelsmann-Religionsmonitor ist zudem für 57% der Kirchenmitglieder „Religion im Alltag (sehr) wichtig“, wobei sich wiederum nur 32% der Kirchenmitglieder als „religiös“ qualifizieren.

Offenbar setzen viele Menschen „religiös“ mit „kirchlich“ gleich, wohingegen für den Einzelnen Religion eine größere Offenheit und individuelle Anschlussfähigkeit zu suggerieren scheint. Nicht verwunderlich, dass sich die Menschen in einer Gesellschaft der Singularitäten, in der eine selbstbestimmte Patchwork-Mentalität in allen Lebenslagen vorherrschend ist, die Offenheit fürs eigene Erleben, auch von Glauben und Religion, bevorzugt wird. Für eine Kirche, die gegenwärtig versucht, planend und steuernd zukunftsfest zu werden, ist dieses Moment der Unverfügbarkeit zweifelsohne eine besondere Herausforderung, da es sich der Steuerbarkeit und Planbarkeit entzieht.

Kirche im Spannungsfeld von Tradition und Innovation

Mit Blick auf die gegenwärtige Lage der Kirche scheint kennzeichnend zu sein, dass ein Teil der Gemeinden und Funktionsträger durchaus wahrnimmt, dass sich Kirche in einem verpuppten Zustand befindet. Einer idealisierten volkskirchlichen Vergangenheit anhängend und einem früheren Normal als sehnsüchtigem Fluchtpunkt folgend, versucht dieser Teil das Traditionelle der Kirche zu bewahren und steht nicht selten den innovativen Gehversuchen eines Anders-Kirche-Sein skeptisch bis ablehnend gegenüber. Innovative Gehversuche wiederum sehen sich im Zustand einer entpuppenden Kirche, getragen von der Hoffnung, dass nach einem erfolgreichen Gestaltwechsel der Kirche der Glaube den Menschen nach wie vor oder auch wieder neu erfahrbar wird. Nicht selten ergibt sich aus diesem Spannungsfeld auf beiden Seiten ein nicht unerhebliches Frustrationspotential, das für die Kirchenentwicklung hemmend wirkt.

Kirche als Plausibilitätsstruktur in ambigen Verhältnissen

Produktiv würde das Spannungsverhältnis, wenn man es als Ausdruck einer Kultur der Ambiguität auffasst. Die Welt ist nicht eindeutig, sondern sie schillert vielgestaltig. Sie kann aus sehr verschiedenen Perspektiven interpretiert werden.

Folgt man den instruktiven Überlegungen von Thomas Bauer,8 ist Religion ein dialogischer Umgang mit unberechenbarer Transzendenz. Menschen deuten gemeinsam und im Gespräch, was sie an Erfahrungen der Transzendenz gemacht haben. Religion ist folglich grundsätzlich eine Interpretationskultur, die mit den Anhängern des eigenen Glaubens geteilt, stabilisiert und auf Dauer gestellt werden muss. Innerhalb einer Religion konkurrieren allerdings einzelne Gruppen, die sich nach dem Grad ihres Gewissheitsbewusstseins unterscheiden lassen.

Bedeutsam ist, dass sich Religion mit dem beschäftigt, was Menschen in ihrer Wirklichkeit nicht begreifen: Krankheit, Sterben, Tod, Katastrophen, sinnloses Leid, Krisen welcher Art auch immer. Sie hilft, Leiden und Böses zu ertragen und auszuhalten, wenn es nicht beseitigt werden kann. In einer Gesellschaft der Singularitäten, in der der Einzelnen stets darum bemüht ist, Plausibilitäten der Lebensführung und -deutung ausfindig zu machen, könnte der Kirche und ihrer Funktion als Plausibilitätsstruktur zur „Ambiguitätsreduktion“ i.S. einer Kontingenzbewältigung eine entscheidende Bedeutung zukommen.

Kirchliche und religiöse Praxis in einer Gesellschaft der Singularitäten

Die spätmoderne Gesellschaft erhebt das Besondere und Singuläre zum gesellschaftlichen Maßstab. Alles soll individuell und besonders wertvoll sein. Selbstverwirklichung ist das vorherrschende Ziel.9 Damit einhergeht die Erosion einer Kultur der institutionell vermittelten Selbstverständlichkeit, wie sie für die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts kennzeichnend war. An ihre Stelle tritt zunehmend eine Kultur der Selbstbestimmtheit.

Bisherige Dimensionen des Religiösen, die die kirchliche Praxis zu bedienen weiß, treten nüchtern betrachtet damit allerdings in den Hintergrund bzw. werden nur noch von einer gesellschaftlichen Minderheit mitgetragen: kirchlich-religiöse Praktiken, wie der Gottesdienstbesuch, die Kasualien u.a.m., die Vertrautheit mit grundlegendem religiösem Wissen, das durch religiöse Sozialisation vermittelt wird, oder das Bekenntnis zum Glauben treten zugunsten der subjektiven religiösen Erfahrung und des religiösen Erlebens zurück.

Hoffnungszeichen

Kirche tut gut daran, Resonanzräume zu schaffen für dieses subjektive religiöse Erleben, für das Geheimnis des Glaubens. Dass ihr dies bereits an vielen Stellen gelingt, zeigen zahlreiche Beispiele.

Den Menschen ist am Segen gelegen

Pop-Up-Hochzeiten, die erstmals von der Berliner Kasualagentur Segensbüro 2022 angeboten worden waren,10 werden zwischenzeitlich EKD-weit mit großem Erfolg adaptiert. Offenbar ist das zwanglose, diskriminierungsfreie und voraussetzungslose Angebot von Segenshochzeiten besonders für kirchendistanzierte oder kirchenferne Menschen ein authentisches Ritual für ihre Beziehung und nachweislich den Menschen vor allem am Segen gelegen.

Wie bei Tauffesten, wie sie von der EKD in diesem Jahr mit der Taufinitiative unter dem Motto „Viele Gründe, ein Segen, deine Taufe“ angeregt werden, ist auch bei der schwächsten Kasualie, der Trauung der Trend beobachtbar, niederschwellig Angebote ergänzend zur klassisch-kirchlichen Trauung zu implementieren. Dass diese Formate nicht nur in einer Metropole wie Berlin Anklang finden, zeigen Adaptionen des Pop-Up-Festivals in Bayern Ende März 2023. Dort wurden im Rahmen der Aktion „einfach heiraten“ in 13 bayerischen Kirchengemeinden 220 Paare gesegnet. Die Regionalbischöfin von Nürnberg fasst die Stimmung wie folgt zusammen: „Berührend - bewegend - ganz besonders“.11 Ganz ähnlich war die Stimmung und Resonanz in Werder (Havel), wo sich am 22. April 2023 im Rahmen des traditionellen Baumblütenfestes 30 Paare haben segnen lassen.12

„New normal“: Lose, selbstbestimmte Verbundenheit nach Bedürfnislage

Was im Digitalen gut zu beobachten ist, dürfte erst recht auf das Analoge übertragbar sein: eine lose, selbstbestimmte Verbundenheit der Menschen infolge gemeinsamer Bedürfnis- und Interessenlagen.13 Schon lange ist wahrnehmbar, dass kirchliche Angebote, die mehrheitlich in Gruppen und Kreisen formatiert sind, sich vornehmlich nach Alter und Geschlecht ausdifferenzieren und eine Stetigkeit der Zugehörigkeit implizieren, nur noch bedingt reizvoll sind für eine Mehrheit der Menschen. Vor allem beheimaten sich dort Menschen mit einer hohen gemeindlichen Verbundenheit. Für kirchendistanzierte und kirchenferne Menschen gilt dies nicht mehr. Hier ist Kirche gefordert, sich stets aufs Neue zu vergewissern und auch infrage stellen zu lassen, durch die Frage: was ist denn die Frage, auf die der Glaube gegenwärtig für die Menschen die Antwort ist und wie kann eine entsprechende Formatierung ausfallen.

Gemeinsam durch unsichere Zeiten

Im Winter 2022/2023, in dem durch die Verknappung von Energie für viele Menschen nicht klar war, wie sehr sie existentiell herausgefordert sein werden, gelang es Diakonie und Kirche mit der Kampagne #wärmewinter einen helfenden Ankerpunkt für viele Menschen vor Ort zu schaffen.  Viele Ideen und gemeinsame Aktivitäten sind in dieser Zeit entstanden als sichtbares und öffentliches Zeichen gegen soziale Kälte und für Mitmenschlichkeit und Nächstenliebe. Die Kampagne könnte Vorbildcharakter haben für weitere Aktionen, um gesellschaftlichen Unwuchten zu begegnen. Zu denken wäre hier beispielsweise an eine Fortführung der Aktion in den Sommerwochen unter dem Hashtag #sommerfrische. Angesichts der klimatischen Herausforderungen würden offene Kirchentüren und kreative Aktionen vor Ort sicher auch hier dankbar aufgenommen werden.

Epilog: Ekklesiale Vielfalt als Ausdruck einer Metamorphose der Kirche

Kirche: sie bewegt sich. Mehr als oft wahrgenommen wird. Häufig scheint es, dass Kirche vom parochial verfassten Kirchen- und Gemeindebild wie babylonisch gefangen ist. Zahlreiche innovative Gehversuche in Kirche versuchen, das Feld kirchlicher Praxis zwischenzeitlich neu auszuleuchten. Exemplarisch steht hierfür etwa das Bemühen seit der 4. Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung um eine lebensweltorientiertere kirchliche Praxis. Zwischenzeitlich sind zudem in zahlreichen Landeskirchen Erprobungsräume implementiert, die den innovativen Gehversuchen Rechnung tragen sollen.

Dabei sind – wie der jüngst veröffentliche 2. Gemeindebarometer des Sozialwissenschaftlichen Instituts der EKD (SI) unterstrichen hat – beispielsweise Fresh X „stärker in prekären sozialen Umgebungen angesiedelt als die klassischen Parochien. Zugleich sind die Fresh X auch in Sozialräumen angesiedelt, in denen es im Vergleich zu den Parochien insgesamt mehr Möglichkeiten zur Vernetzung anderer AkteurInnen und Institutionen gibt. Es gelingt den Fresh X aber nicht, diese größeren Möglichkeiten zur Vernetzung auch in mehr Kontakte umzusetzen. Unabhängig vom Siedlungsgebiet haben EKD-Gemeinden häufiger Kontakte in den Sozialraum als Fresh X, dies zeigt sich insbesondere bei den Kontakten zu Einrichtungen der Diakonie sowie zu kommunalen Gremien und Repräsentant*innen. Fresh X weisen eine starke Orientierung an religiösen und missionarischen Zielsetzungen in der Gemeindearbeit auf, während Parochien ihren Fokus stärker auf soziale Aspekte und Seelsorge richten.“14

Es wird folglich auf eine gute und sich ergänzende Balance von parochial verfasster Gemeinde und innovativen Gehversuchen ankommen, will Kirche in ambigen Verhältnissen für möglichst viele Menschen plausibel bleiben. Wesentlich wird es dabei darauf ankommen, dass das Authentisch-Sein-im Glauben für die Menschen wahrnehmbar und erlebbar und ein Mindestmaß an sozialer Nähe erfahrbar ist. Hierin besteht das gegenwärtige Handlungsimperativ fürs künftige Christ- Sein und Kirche-Sein.