Christentum ist Beziehungsreligion

Schockzahlen im Sommerloch: Im Jahr 2020 hat die Evangelische Kirche in Deutschland rund 477.000 Mitglieder verloren. Das entspricht in etwa der Einwohnerzahl einer Großstadt wie Duisburg.

Die Zahl der verstorbenen Evangelischen liegt bei etwa 355.000, Taufen haben sich auf 81.000 fast halbiert. Die übrigen Aufnahmen in die evangelische Kirche gingen um 28 Prozent zurück und lagen bei 18.000. Und etwa 220.000 Evangelische sind aus der Kirche ausgetreten. Zusammen­genommen ist die Zahl der Mitglieder im Vergleich zum Vorjahr um 2,3 Prozent gesunken.

Und da mehr Jüngere austreten als Ältere bzw. mehr Ältere sterben als Jüngere, wird sich diese Entwicklung eher geometrisch als arithmetisch fortsetzen. Es kann gut sein, dass sich schon recht bald die Freiburger Studie als zu optimistisch erweisen wird.

Puh. Das muss man erst mal verkraften. Okay: Es gab vielerorts kaum oder nur sehr erschwert die Möglichkeit, Taufen vorzunehmen. Das wird sich sicherlich wieder erholen. Aber insgesamt zeugen die Zahlen zum einen von einer erheblichen Überalterung, zum anderen von einer weiter schwindenden Identifikation unserer eigenen Mitglieder mit dem, was wir als Kirche sind, sagen oder tun. „Es ist gut, dass es die Kirche gibt“, sagen zwar viele. Aber spätestens dann, wenn es an den eigenen Geldbeutel geht, ist es vielen dann doch nicht so wichtig.

Schon vor Jahren hat der Berliner Theologe Wolf Krötke postuliert: „Die Menschen haben die Kirche in Scharen verlassen. Wir werden sie nur als Einzelne zurückgewinnen.“ Und, so können wir ergänzen:

Nur als Einzelne werden wir Menschen, die bereits auf dem Absprung sind, noch halten können.

Doch genau hier liegt das Problem: Wer soll das tun? Wer soll ins Gespräch mit den im letzten Jahr ausgetretenen 220.000 Menschen kommen – und wer soll die nächsten 220.000 davon abhalten, es ihnen gleichzutun? Und bei 18.000 Neueintritten im Jahr – das entspricht etwa einer Person pro Gemeinde – ist auch missionarisch gesehen noch Luft nach oben.

An dieser Stelle wird ein eklatanter Mangel in unserer heutigen kirchlichen Landschaft offenbar. Wir sind in vielerlei Hinsicht eine Hauptamtlichenkirche geworden. So dankbar wir für professionell ausgebildete, vollzeitliche Kräfte sein können: Es fehlt über weite Strecken ein „allgemeines Priestertum“, das in den ganz normalen Bezügen des Alltags seinen Glauben bezeugt, vorlebt und weitergibt.

Von Anfang an lag die Dynamik des Christentums darin, dass sich Menschen spirituell vernetzten und andere in ihren Glauben, ihr Leben und ihre Liebe miteinbezogen.

Christentum ist Beziehungsreligion. Es breitet sich nicht so sehr durch Predigten, Veranstaltungen oder Konzerte aus, sondern vor allem durch Gespräche, praktische Hilfe und gemeinsame religiöse Erfahrungen.

Das Gebot der Stunde ist darum, Christ*innen zu helfen, ihren Glauben mit anderen zu teilen: auf Augenhöhe, glaubwürdig, zupackend und attraktiv. Das ist eine sehr langwierige Aufgabe. Schnelle Erfolge werden sich nicht einstellen. Ob wir damit die Kirche retten werden, weiß ich nicht. Wohl aber viele Menschen um uns herum.