Helfen, lieben und erfreuen

Von Dr. Klaus Douglass

Du meine Güte, was ist denn mit dieser Welt los? Als ob wir nicht schon ausgelaugt genug wären von nunmehr zwei Jahren Dauer-Corona, sehen wir uns plötzlich Bedrohungen ausgesetzt, die noch vor wenigen Monaten kaum jemand für möglich gehalten hätte.

Von uns als midi können Sie erwarten, dass wir auch in diesen Zeiten alles Menschenmögliche tun, Sie mit dem zu versorgen, wofür wir von Anfang an stehen: mit frischen Ideen, inspirierenden Netzwerken und praktischen Hilfen für Ihre Arbeit in Kirche, Diakonie und Sozialraum. Getreu dem (bekanntermaßen falschen) Lutherzitat: „Und wenn morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen.“ Ich glaube nicht, dass die Welt untergehen wird, aber zweifellos stehen uns weiter strapazierende Zeiten bevor. Also: Ran ans Werk und kleine Bäumchen der Hoffnung gepflanzt!

In diesen etwas trostarmen Zeiten erreichte mich die Mail einer Kollegin, in der ich ein wunderbares Zitat von Hermann Hesse fand:

Fühle mit allem Leid der Welt, aber richte deine Kräfte nicht dorthin, wo du machtlos bist, sondern zum Nächsten, dem du helfen, den du lieben und erfreuen kannst.

Das gibt mir seither – neben meiner täglichen Bibellektüre – viel Kraft.

„Fühle mit allem Leid der Welt“

Mit den Worten „Fühle mit allem Leid der Welt“ finde ich mich schon mal gut verstanden. Mir persönlich fällt es schwer, das Leid anderer Menschen einfach außen vor zu lassen. Ich muss nur an den Berliner Hauptbahnhof gehen, um die Scharen von Kriegsflüchtlingen zu sehen, und jeder verzweifelte Blick trifft mich tief ins Herz. Ich kann kaum einem Leid begegnen, ohne dass ich es mir selbst aufs Herz bzw. die Seele nehme: „Wie kann dieser Mensch das nur aushalten?“ „Was muss er oder sie alles durchmachen?“ Und natürlich auch immer wieder: „Was wäre, wenn das mir passierte?“

Es ist schwer, die vielen Bilder und Informationen zu verarbeiten, die in diesen Tagen auf einen einströmen. Und es macht nicht nur keinen Sinn, sondern ist auch völlig unmöglich, den Kopf einfach in den Sand zu stecken. An dieser Stelle greift für mich das Hesse-Zitat: Es ist okay. Fühle mit jedem Leid der Welt. Es ist nicht zu umgehen und es hält dich menschlich. Versuche nicht, dagegen anzukämpfen, denn je mehr du dich dagegen wehrst, desto mehr nimmt es dich in Besitz.

„… aber richte deine Kräfte nicht dorthin, wo du machtlos bist“

Und nun kommt der entscheidende Hinweis: „… aber richte deine Kräfte nicht dorthin, wo du machtlos bist“. Das ist die Gefahr, wenn wir seelisch allzu stark in das Leid der Welt eintauchen: dass dieses Leid wie eine gigantische Welle über uns hinwegfegt und uns unsere ganze Hilflosigkeit, Ohnmacht und Verletzlichkeit empfinden lässt.

Richte deine Kräfte nicht dorthin, wo du machtlos bist. Macht- und Hilflosigkeit ist etwas, was wir sehr schnell empfinden, wann immer wir Krankheit, Schrecken und Tod begegnen. Nichts liegt hier näher als die Frage: „Wer sind wir kleinen Menschen angesichts dieser gewaltigen Flut?“ Und doch ist es der falsche Blickwinkel, weil dieser Gedanke uns einfach nur entmutigt und schwächt.

Luther – ich glaube, dieses Zitat ist echt – hat einmal gesagt, wir könnten nicht verhindern, dass Vögel um unseren Kopf herum kreisen, wohl aber, dass sie in unseren Haaren Nester bauen. Wir können in diesen Zeiten, wenn wir nur irgend menschlich sind, nicht verhindern, dass uns Bilder des Leids und schwere Gedanken umschwirren. Aber wir können verhindern, dass diese Gedanken und Bilder in unserem Kopf „Nester bauen“: sich festkrallen und festsetzen und fortan die Agenda unseres Denkens, Fühlens und Handelns bestimmen.

„Du hast eine kleine Kraft“, konstatiert schon die Bibel (Offenbarung 3,8). Sie sagt aber auch: „Gottes Kraft ist in den Schwachen mächtig“ (2. Korinther 12,9) – wenn das kein gewaltiger Trost ist!

„sondern zum Nächsten, dem du helfen, den du lieben und erfreuen kannst.“

Richte deine Kräfte nicht dorthin, wo du machtlos bist. Du kannst nicht verhindern, dass viele Gedanken und Gefühle in diesen Zeiten ins Negative abgleiten. Es wäre vermutlich nicht einmal wünschenswert. Denn ein Mensch, der jetzt kein Mitleid empfindet, hätte sich selbst eines wesentlichen Teils seiner Menschlichkeit beraubt. Aber deine Kraft kannst du woandershin richten. Nicht dorthin, wo du machtlos bist, „sondern zum Nächsten, dem du helfen, den du lieben und erfreuen kannst.“

Was für eine schöne Trias: helfen, lieben und erfreuen.

Menschen in ihrer konkreten Not helfen ist das eine. Was bin ich dankbar für den Dienst, den bei uns im Haus die Diakonie Katastrophenhilfe, aber auch unzählige Hilfsorganisationen draußen im Land derzeit tun!

Wir alle können hier einen Beitrag leisten, indem wir mithelfen, spenden, Flüchtende aufnehmen etc. Und darüber hinaus gilt es, Liebe zu verbreiten und Brücken zu bauen in einer Welt, in der die Nerven bei vielen Menschen schon durch die lange Zeit der Pandemie blank liegen und die Solidarität und das Gefühl des Zusammenhalts in unserer Gesellschaft mehr und mehr bröckeln.

Das Mindeste aber, was wir dabei tun können, ist, den Menschen um uns herum Freundlichkeit zu schenken. Uns bei unseren alltäglichen Begegnungen die Frage zu stellen: „Wie kann ich diesen Menschen erfreuen?“ Das kostet oft nicht viel. Ein aufmunterndes Wort hier, eine kleine Gefälligkeit dort, oft genügt auch einfach nur ein Lächeln, wo uns derzeit so viele angespannte Mienen entgegenstarren.

Es lohnt sich, selbst eine kleine Kraft in diese Dinge zu legen. Glauben Sie mir: Es kommt nicht nur viel zurück, sondern alles Positive, was wir jetzt wider allen Augenschein in diese Welt hineingeben, multipliziert sich durch die „Mathematik Gottes“ auf geheimnisvolle Weise.