Junge Erwachsene und Kirche

Von Louisa Gallander, Annika Kastner, Claudia Kusch, Dr. Birgit Sendler-Koschel und Dr. Johannes Wischmeyer

Junge Erwachsene und Kirche – in diesen vier Worten liegt eine große Bandbreite an Erwartungen, Hoffnungen, Perspektiven und nicht zuletzt Kultur- und Stilfragen. Die Vielfalt ist groß.

In Deutschland leben 30,94 Millionen junge Erwachsene zwischen 18 und 39 Jahren. Ihre Lebenssituation ist – auch abhängig von der Form der Ausbildung, dem Start in den Beruf und dem Beginn der Elternschaft – vielfältig. Fast die Hälfte von ihnen lebt in oder entstammt Familien, in denen mindestens ein Elternteil Migrationshintergrund hat.

Kulturelle Codes

Junge Erwachsene übernehmen in dieser Vielfalt des Aufwachsens und der Lebensbezüge kulturelle Codes. Unter dem Eindruck ganz eigener, neuer Erfahrungen in der Erwachsenenzeit entwickeln sie neue Codierungen, die zu einer lebenssituationsbedingten zunehmenden Verschiedenheit führen.

Diese Codierungen sind – so die semiotische Kommunikationstheorie – entscheidend dafür, wie junge Erwachsene persönliche Erlebnisse, aber auch die gesellschaftlichen Erfahrungen in der Phase von Ausbildung/Studium und Eintritt in die Beruflichkeit deuten und wie sich daraus ihr persönliches Bild von sich selbst, von der Mitwelt und von Gott gestaltet. Dabei bleiben die Bilder immer temporär. Denn weitere Erfahrungen, aber auch die Codierungen von Peers oder der Arbeitswelt verändern Deutungen – und darin wiederum kulturelle Codes.

Eine Rolle spielen auch religiös-weltanschaulich geprägte Codierungen, insbesondere für Familien mit Migrationshintergrund. Viele junge Christ*innen mit Migrationshintergrund erleben, dass in ihrer Herkunftsfamilie religiöse Praxis und persönlicher Glaube relevanter ist als z.B. in der Mehrheit der Familien, bei denen Eltern und Kinder zu einer der Evangelischen Kirchen in der EKD gehören.

In Deutschland nimmt also in der Altersgruppe der jungen Erwachsenen auch die innerchristliche Vielfalt zu.

Deine Ideen. Deine Kirche. Dein Glaube.

Wenn mit jungen Erwachsenen nach „Deinen Ideen, Deiner Kirche, Deinem Glauben“ gefragt wird, gilt es also, auf möglichst verschiedenen Wegen und unter Nutzung verschiedener Kontaktflächen junge Erwachsene anzusprechen und für ein gemeinsames Nachdenken zu gewinnen.

Dies muss und kann offen in der digitalen Kommunikation geschehen wie auch unter Nutzung der zahlreichen Netzwerke, die die evangelische Kirche mit ihrer Diakonie eröffnen (viele von ihnen werden von jungen Erwachsenen nicht mit „Kirche“ in Verbindung gebracht werden, meist aber mit „evangelischem Engagement in der Welt und für eine gute Sache“).

Im beruflichen Religionsunterricht, in evangelischen Jugendverbänden und Studierendengemeinden, in Freiwilligendiensten oder als in Kirche und Diakonie beruflich Tätige, in der jugendpolitischen Arbeit engagieren sich junge Erwachsene vielfältig.

Daher setzte die EKD-Synode 2018 das Schwerpunktthema „Der Gaube junger Erwachsener“. Ihr folgte ein Workshop mit jungen Erwachsenen in 2019 sowie der digitale Workshoptag „JETZT MITREDEN! Deine Ideen. Deine Kirche. Dein Glaube.“ am 7. Juni 2021.

Über 50 Personen – junge Menschen und Verantwortliche für den Arbeitsbereich „Junge Erwachsene und Kirche“, Ehrenamtliche und Hauptamtliche – folgten der Einladung und nutzten die Gelegenheit unter Moderation von Katharina Haubold, CVJM-Hochschule, einander kennenzulernen, verschiedene Perspektiven wahrzunehmen, dazu in den Austausch zu kommen und sich zu vernetzen.

Umlernen

– das war dabei aus Sicht der EKD-Kirchenamtsstrukturen das Motto des Tages. Wie organisieren wir einen thematischen Austausch abseits der eingespurten Formen? Böse Zungen könnten sagen: Wenn die EKD zu einem „Erfahrungsaustausch“ einlädt, dann ist sie überzeugt, schon mehr oder weniger alles über das Thema zu wissen, um das es geht. Und es werden Leute eingeladen, die ihrerseits diese Überzeugung haben. Am Ende steht ein Dokument, in dem jeder seine Sicht der Dinge nochmal mit den mehr oder weniger gleichen Worten zu Protokoll gibt.

Das wollten wir nicht. Wir haben versucht, das zu beherzigen, was man uns bei der Vorgängerveranstaltung ins Stammbuch geschrieben hat: Hört zu! Ladet euch ein bei jungen Erwachsenen! Stellt nicht gleich Fragen aus eurer Perspektive, findet nicht vermeintliche Defizite, in die ihr mit euren Angeboten vorstoßen könnt. Sondern lasst euch ein auf die Logik, mit der junge Erwachsene auf Kirche und Religion sehen, interessiert euch für ihre Assoziationen und Geschichten.

Wir haben von Katharina Haubold gelernt, dass wir uns dabei erstmal auf die Intuitionen verlassen können, die unsere Gesprächspartner*innen mitbringen. Und die beziehen sich erstmal ganz basal auf die unmittelbare sinnliche Wahrnehmung, auf die Erinnerungen, mit denen Menschen solche Wahrnehmungen auf Dauer abrufbar halten, auf Codierungen.

Wir alle haben ein Bild von Kirche im Kopf, das sich aus vielen einzelnen Wahrnehmungen zusammensetzt, die wir persönlich gemacht haben.

Das ist vollkommen nachvollziehbar: Wir alle, auch Hochverbundene, haben ein Bild von Kirche im Kopf, das sich aus vielen einzelnen Wahrnehmungen zusammensetzt, die wir persönlich gemacht haben. Was liegt näher, als diese Erfahrungen kreativ über Bilder, Symbole und Wörter, auf Moodboards abzurufen.

Acht solcher Moodboards sind während des Workshoptags entstanden. Einige ihrer Schwerpunkte:

Wie klingt eine Kirche, die mich anspricht, eigentlich?

Einige der von den Teilnehmenden gewählten Bilder symbolisieren moderne Musik: eine E-Gitarre und ein Schlagzeug, eine Band, ein Festivalgelände mit großer Bühne. Ebenso viele Bilder zeigen die Art von Musik, die traditionell mit Kirche und Gottesdienst verbunden ist: eine Orgel, Kirchenglocken, das Gesangbuch, ein Chor. Laut und leise. Modern und traditionell. Alleine und gemeinsam.

Und wie riecht eine solche Kirche?

Da zeigen die Teilnehmenden eindeutige olfaktorische Vorlieben: Sie riecht nach Backwaren aller Art, nach frischen Waffeln, Kuchen, Keksen und Brot. Und nach Kaffee – in ganzen Bohnen, gemahlen oder auf vielfältige Weise zubereitet. Gleichzeitig riecht sie nach Zuhause, nach dem eigenen Wohnzimmer, aber auch nach einem gemütlichen Ort außerhalb der eigenen vier Wände, wie das Lieblingscafé um die Ecke.

Kirche riecht nach frischen Waffeln, Brot und Keksen, Kaffee, Kerzen und Tannenzweigen, Sommerregen und bunten Feuerwerken.

Eine für junge Erwachsene ansprechende Kirche riecht ganz natürlich; nach Tannenzweigen, Gras und Holz, nach Sommerregen und Meer. Und sie riecht nach dem Lieblingsparfum, das ganz verlässlich immer den gleichen, guten Duft verbreitet und überall mit hingenommen werden kann.

Vor allem aber riecht sie feurig: Ganz traditionell, ganz besinnlich nach Kerzen und Streichhölzern. Und – wild und knisternd – nach bunten Feuerwerken und lebendigen Grillevents.

Eben nach einer Kirche, die Wärme, Geborgenheit und Gemütlichkeit verströmt, aber gleichzeitig Licht, Energie und Explosionskraft wittern lässt. Nach einer Kirche der Gegensätze, nach einer Kirche für alle.

Ästhetik

Schaut man auf Stil- und Kulturfragen von Kirche zeigt sich, dass die Ästhetik eine kaum zu überschätzende Wirkung hat und dass gerade an ihr sich die Frage entzündet: gehe ich dort wieder hin, fühle ich mich angesprochen?

Das betrifft die Ästhetik und Bildwahl bei Schaukästen und Webpräsenzen ebenso wie die Inneneinrichtung von Räumen oder die Bildsprache von YouTube-Gottesdiensten.

Gospelchöre sind nicht automatisch ein gutes Angebot für Junge Erwachsene, nur weil Gospel vermeintlich modern sei.

Oder auch der Frauenkreis, in dem sich eher Betagte oder Hochbetagte treffen, nicht so gut passend für junge Erwachsene. Kirchliche Orte, an denen junge Erwachsene ausschließlich auf ältere Menschen treffen und sich deren Kultur- und Stilfragen anzupassen haben, wirken nicht sehr einladend.

Ehrenamtliches Engagement

Gleichzeitig erleben engagierte junge Leute, dass sie mitreden können und gehört werden, dass sie selbst Entscheidungsträger*innen sein können. Die demokratische Grundstruktur wird geschätzt.

Eine Kulturfrage berührt auch die nach dem ehrenamtlichen Engagement. Gemeindebriefaustragen und Lektorenamt sind die unbeliebtesten Ämter in der Kirche – gibt es auch andere Möglichkeiten, sich als junger Mensch in der Kirche zu engagieren?

Und kann man auch einfach so Christ*in sein, ohne gleich eine Gruppe zu gründen, selbstverständlich Andachten zu leiten oder in der Gemeindebriefredaktion mitarbeiten zu müssen?

Muss man immer erst selbst etwas tun, damit man sich in der Kirche wohlfühlt?

Wie geht man um mit den Traditionen, die vor Ort gelebt werden? Was kann man ändern, wo kann man hineinwachsen, was muss aber auch aufgeräumt werden, damit Platz für Neues entstehen kann?

Es geht viel weniger um ein vermeintlich passendes Format, als viel mehr um die Kultur, einander auf Augenhöhe zu begegnen und zuzuhören.

Ästhetik kann Türen und Herzen öffnen

Einander in den Blick nehmen und Perspektiven austauschen, darum ging es bei dem Workshop. Dieser Austausch ist nicht mit einem Mal erledigt, sondern geht weiter. Ästhetik, sinnliche Eindrücke, Stil – all dies spielt eine große Rolle für die Frage, wie attraktiv Kirche wirkt. Ästhetik kann Türen und Herzen öffnen – nicht nur bei hochverbundenen Kirchenleuten.

Mancher Stil in einer Gemeinde ist vielleicht auch eher eine Gewohnheit, denn eine gut reflektierte Tradition. Und nicht jedes Platzdeckchen ist auf immer und ewig in Ehren zu halten, ohne dass die Gemeinde zusammenbricht, wenn es nicht mehr da ist.

Gleichzeitig werden viele Traditionen auch von jungen Erwachsenen geschätzt und geliebt.

Sie zu identifizieren, zu entstauben und in neuem, ansprechendem Glanz erscheinen zu lassen, erscheint vielversprechend.

Entscheidend ist, dass man einander wahrnimmt und sich zu Wort kommen lässt, sich miteinander verständigt; das hat der Workshoptag gezeigt. Und wer weiß, was es alles zu entdecken gibt, wenn mehr junge Erwachsene in der Kirche mitreden und sie gestalten?!

Junge Erwachsene vernetzen

Einige Projekte, die es bereits gibt, sind hier zu finden. Diese TaskCards können weiter ergänzt werden, auch von Leuten, die nicht am Fachforum teilgenommen haben. Fühlt Euch herzlich dazu eingeladen!

Der Workshop „JETZT MITREDEN! Deine Ideen. Deine Kirche. Dein Glaube.“ sowie die vorangegangenen Veranstaltungen stellen nur erste Schritte auf dem Weg zu einer für junge Menschen ansprechenden und attraktiven Kirche dar.

In den kommenden Monaten sind weitere (digitale) Veranstaltungen geplant, um bisher unerreichte Zielgruppen zu adressieren, die entstandenen Ideen weiterzudenken und Akteur*innen zu vernetzen.

Kontakt

Wenn Ihr Euch beteiligen wollt, meldet Euch per E-Mail an Bildung@EKD.de. Wir freuen uns darauf, mit Euch ins Gespräch zu kommen!