Junge Erwachsene und Kirche

Junge Erwachsene und Kirche haben eine spezielle Beziehung zueinander. Man weiß vom anderen so ungefähr, dass es ihn gibt. Aber wie kommen sie zueinander?

Junge Erwachsene sind Menschen aus verschiedenen Kontexten, mit vielfältigen Lebensvorstellungen, Hoffnungen und Träumen. Ebenso unterschiedlich sind die Erfahrungen, die sie mit Kirche gemacht haben. Da ist der Auszubildende, der eine Lehre zum Tischler macht, die wissenschaftliche Mitarbeiterin, die an der Uni promoviert. Es sind junge Angestellte der Diakonie oder Erzieherinnen in evangelischen Kindergärten.

Junge Erwachsene befinden sich in einer Phase der Übergänge. Übergänge von einer Lebensphase in die andere, von der Ausbildung ins Berufsleben, von einem Ort zum nächsten, in eine neue Gemeinde.

Wie finden junge Leute eine Gemeinde, die zu ihnen passt?

Im Gespräch mit jungen Erwachsenen ist oft zu hören: „Ich komme in der Kirche nicht vor. Die Gemeinde interessiert sich nicht für mich. Meine Lebenssituation spielt dort keine Rolle. Ich suche nicht nach Angeboten für Familien und in die Jugendarbeit gehöre ich auch nicht. Wie finde ich eine Gemeinde, die zu mir passt?“ Kirche scheint unsichtbar zu sein.

Und doch gibt es junge Menschen, die Kontakt zu Kirche und Glauben auf Social Media haben. Die digitale Kirche wird von ihren Follower*innnen als sympathische und spannende Kirche erlebt.

Was macht Gemeinschaft in der digitalen Kirche für junge Erwachsene attraktiv, das in Kirche vor Ort fehlt?

Vermissen junge Menschen etwas, wenn sie sich „nur“ auf christliche Angebote auf Social Media einlassen? Haben sie überhaupt das Bedürfnis nach einer weiteren Gemeinschaft oder noch einem Netzwerk vor Ort? Möglicherweise reicht ihnen ihre digitale Gemeinde.

Muss sich jemand, der digitale Kirche für sich nutzt, ehrenamtlich in einer Ortsgemeinde engagieren? Und falls sie das will, wie findet sie diese Gemeinde? Muss man Kirche immer erst selbst gestalten, damit man seinen Platz dort finden kann?

Das sind viele Fragen, auf die es keine letztgültigen Antworten gibt. In einem Workshop haben die EKD & midi Expert*innen aus der digitalen Kirche, dem Bildungsbereich, Erprobungsräumen und weiteren Fachbereichen eingeladen, diese Fragen mit ihnen diskutiert und Ideen gesammelt. Denn klar ist:

Junge Erwachsene – das ist nicht nur eine Zukunftsaufgabe für Kirche. Das ist Gegenwart. Es gibt sie jetzt.

Es geht vielfach um Haltungen, Stil, Willkommenskultur. Zu sagen: jeder kann kommen – das reicht nicht aus. Eher so: jungen Erwachsenen zuhören, bei ihnen und in ihrem Leben zu Gast sein, mit ihnen Kirche sein – und nicht einfach Angebote oder Projekte vorsetzen. Und wissen: Junge Erwachsene sind genauso bunt und vielfältig wie alle anderen auch – die eine Lösung gibt es nicht. Eher viele verschiedene Wege. Alle beginnen damit, dass es überhaupt ein Interesse für die Menschen gibt.

Die Unsichtbarkeit von Kirche und Gemeinde an den Orten, an denen junge Erwachsene sind, wird immer wieder als Herausforderung genannt. Darüber hinaus geht es auch um Kulturfragen und Lifestyle: ein klassisches Gemeindefest ist nicht unbedingt die Anlaufstelle für junge Erwachsene, um miteinander in Kontakt zu kommen.

Klar – alles irgendwie schon gewusst. Und doch: Es liegen Chancen darin, wenn Kirche sich auf die Suche nach jungen Erwachsenen macht – sei es digital oder vor Ort. Lasst sie selbst zu Wort kommen und hört zu.

Junge Erwachsene – wer sind sie?

Was trägt sie? Welche Bedürfnisse, welche Interessen haben sie? Im Workshop haben wir uns in verschiedene Personas hineinversetzt. Z.B.:

Die Architektin Sabrina (31) findet am Christentum das Thema „Spiritualität“ gut.

Sie ist offen gegenüber der Kirche, aber auch andere Religionen interessieren sie. Wichtig ist, dass das Angebot zu ihr und ihrem Leben passt und zu ihrer persönlichen und spirituellen Weiterentwicklung beiträgt.

Markus (23) ist digital und analog auf der Suche nach Angeboten,

die ihn in seiner Jesusbeziehung wachsen lassen und theologisch nicht zu eng sind. Er sucht nach Orten und Formen, mit denen er sich wohlfühlt, der „normale“ Sonntagsgottesdienst langweilt ihn. Gerade fühlt sich der Berufseinsteiger vor allem in kleineren christlichen Gruppen zuhause und hat das Gefühl, wenn er eine Kirche haben möchte, die zu ihm passt, muss er das selber machen.

Vor Kurzem hat die Studentin Sarah (26) @seligkeitsdinge_ auf Instagram entdeckt.

Ihr gefällt, wie die Pastorin dort ganz offen über die Brüche in ihrem Leben spricht, feministische Themen setzt und sie sieht sich gerne die Stories an, in denen Josephine ihren Alltag mit den Kindern zeigt. Sarah denkt „Wenn es mehr Leute wie Josephine in der Kirche geben würde, dann könnte ich mir das vielleicht auch vorstellen. Sie wirkt überhaupt nicht wie eine Pastorin“.

Die angehende Bürokauffrau Anna (19) ist Mitglied der evangelischen Kirche,

aber nicht konfirmiert. Den Reliunterricht an der Berufsschule mag sie. Die Diskussionen mit der aufgeschlossenen Lehrerin über Gott und die Welt haben für sie nichts mit Kirche zu tun, es sind ja auch viele ihrer muslimischen Kolleg*innen dabei.

Junge Erwachsene zum Thema machen

Unser Anliegen ist es, junge Erwachsene in der Kirche zum Thema zu machen. Man kann das Lobbyarbeit nennen oder Bewusstsein wecken, Interesse bekunden. Mit diesem Anliegen sind wir nicht allein unterwegs. Das gibt Rückenwind, jenseits von Strukturfragen mutig auszuprobieren. Wege entstehen, indem sie gegangen werden, so ist es auch in diesem Fall.

Eine neue Generation Lehrkräfte, Gemeindepädagoginnen, Diakone, Ehrenamtliche und Pfarrerinnen ist auf Social Media ansprechbar, nahbar, witzig, provokant. Mit ihnen und ihren Beiträgen können sich junge Erwachsene identifizieren. Doch wie kann ein Übergang vom Abo zur Gemeinde gelingen, wenn nur wenige Personen, meist aus der digitalen Kirche, überhaupt Ansprechpartner*innen für die junge Generation sind?

Botschafter*innen auf Entscheidungsebene können Bewusstsein für die Bedürfnisse junger Erwachsener schaffen. Sie können mit Gemeinden den Realitätscheck durchführen: Was denken, was wünschen sich junge Menschen vor Ort? Wie kann man ihre Themen wertschätzen, für sie Platz machen, Flexibilität sowie agile Beteiligungsformen einüben und ihnen eigene Gestaltungsräume ermöglichen, damit junge Erwachsene in der Kirche spüren „Du wirst gesehen“.

Muss Kirche mehr so werden, dass man sie auch schlicht konsumieren – genießen kann?

Wieso muss man sich immer einbringen, sich festlegen, engagieren? Kann Kirche nicht mal was für mich machen? Andere fragen: Ich würde mich ja gern einbringen, aber wo und wie? Ich finde keinen Ansprechpartner, ich finde noch nicht mal die richtigen Kontaktdaten. Wieso soll ein Gospelchor etwas für mich sein – nur weil ich noch nicht 50+ bin? Aus einer anderen Perspektive kommt die Frage:

Was heißt denn „junge Erwachsene erreichen“?

Wann ist das geschafft? Wenn sie selbst über Gelder und Ressourcen entscheiden? Wann sind sie gewonnen? Wann ist das Ziel erreicht? Und wessen Ziel ist das?

Auf der Suche nach jungen Erwachsenen tauchen andere Fragen auf, die noch weiter gehen. Ausgehend von der Grundüberzeugung der Missio Dei (Zuwendung Gottes zur Welt) scheint es doch darum zu gehen, dass Kirche sich auf den Weg aus ihren angestammten Räumen macht.

Das bedeutet: zu Gast zu sein in der Öffentlichkeit, das bedeutet eine Haltung der Demut und die Fähigkeit, sich selbst zurückzunehmen, weil der andere etwas zu sagen hat. Haltung hat damit zu tun, sich selbst gegründet zu wissen. Damit geht es dann um Grundsatzfragen: Wer sind wir als Kirche? Wie leben wir unseren Glauben an Gott, woran sind wir als Kirche Jesu Christi zu erkennen?

Die Krise unserer Kirche ist viel stärker als eine geistliche Krise zu sehen und nicht nur als eine organisationale.

Es geht um Haltungen

Freiräume öffnen und Platz machen. Digitales und Analoges zusammendenken. Zusammenarbeiten im Kirchenkreis und in der Region.

Nicht jede Gemeinde muss Räume für junge Erwachsene haben, aber jede Gemeinde muss wissen, wo es Ansprechpartnerinnen gibt und Informationen weitergeben können. Nicht jede Gemeinde muss sich auf junge Erwachsene als Zielgruppe fokussieren. Im Verbund eines Kirchenkreises oder einer Region kann es aber gelingen, Schwerpunktgemeinden herauszubilden. Rückenwind gibt es da, wo Menschen begeistert sind. Dort, wo nicht die Strukturen im Vordergrund stehen oder der Trauerprozess über das Kleinerwerden.

Im Grunde treffen sich hier viele Fragen, die sich nicht spezifisch auf junge Erwachsene beziehen. Stecken wir in der Formatfalle oder im additiven Denken fest: Hauptsache, viele Projekte? Macht es Sinn, immer weiter und kleinförmiger in Zielgruppen zu denken und zu handeln?

Vielleicht ist es Zeit für einen generellen Kurswechsel: weniger anbieten, sondern nach ganz anderen Möglichkeiten suchen, Freiräume zu schaffen, ausprobieren, scheitern, mutig aufhören.