Erwachsenentaufen? Aber klar doch!
Eigentlich sollte es im Januar losgehen. Aber bei Inzidenzen bis über 700? Keine Chance! Also vertrösten auf nach den Winterferien. Und dann wieder vertrösten auf nach den Osterferien. Und dann? Nochmal vertrösten? Aber auf wann? Dann besser digital. Wenigstens mal versuchen. Alles besser als nichts. Ich streute die Termine über drei Monate und hoffte, dass mit viel Glück auch mal ein Treffen vis-à-vis möglich wäre.
Am 4. Mai saßen mein Kollege und ich vor den Bildschirmen und warteten gespannt, was passieren würde. Nach und nach tauchten die Kacheln auf. Nach und nach verringerten sich die technischen Probleme. Zwei Menschen konnten sich nur mit Audio zuschalten, aber immerhin. Ich war aufgeregt. Ich bin schließlich kein Digital Native.
Viel Zeit hatte ich daher im Vorfeld auf Tools wie Padlet, Mentimeter und Ähnliches verwenden müssen. Ich wollte nicht, dass die Gleichung digital = frontal lautet. Bildschirm teilen klappte schon mal. Aber dann klappten die Breakoutrooms für das gegenseitige Vorstellen nicht. Tief durchatmen. Weitermachen. Immerhin: wir waren dabei! Und niemand nahm uns krumm, dass nicht alles reibungslos funktionierte. Dann stellte sich eben jeder selbst vor. Wie er oder sie heißt, warum er oder sie hier ist, was er oder sie erwartet oder auch befürchtet.
Es sind immer ganz unterschiedliche Gründe, die Menschen dazu bewegen, sich auf einen Glaubenskurs einzulassen. Die Familie spielt eine große Rolle, Freunde, Banknachbarinnen aus der Schule, auch die Diakonie, die Arbeit, Kolleginnen, gute Kirchenmusik, kirchliche Kinder- und Jugendarbeit und vieles mehr. Diesmal spielte auch Corona eine Rolle. Das hätte ich nicht gedacht.
Einige Teilnehmende meinten, während des Lockdowns hätten sie mehr Zeit und Einsamkeit zum Nachdenken gehabt. Und beschlossen, etwas in ihrem Leben zu ändern.
Und setzten diesen Vorsatz auch wirklich um und gingen auf die Suche.
„Ich bin hier, weil ich dazugehören will.“ „Ich will mich eigentlich auch taufen lassen.“ „Ich auch.“ „Wenn das in meinem Alter noch möglich ist?“
Es hat mich völlig umgehauen. Fünf von sechs Leuten sagten gleich beim ersten Mal: na Taufen ist das Ziel. So einen Glaubenskurs hatte ich noch nie. Ein paar Wochen später fiel mir gleich wieder die Kinnlade runter. Das Thema war Taufe und ich fragte: „Wer hat von Ihnen schon mal eine Taufe miterlebt? Was ist Ihnen aufgefallen?“
Da war Schweigen im Walde. Eine meinte, dass sie bei der Taufe ihrer Kinder so aufgeregt gewesen sei, sie könne sich an nichts erinnern. Einer war nicht da, der bestimmt was hätte sagen können. Die anderen drei waren noch nie in ihrem Leben bei einer Taufe dabei gewesen. Das hieß, die eigene Taufe würde gleichzeitig die erste ihres Lebens sein. Respekt! Ich weiß nicht, ob ich so mutig wäre.
Manchmal fragen Leute nach unserem „Erfolgskonzept“: Wie kommt Ihr jedes Jahr zu Erwachsenentaufen?
Ich denke, es gibt kein ultimatives „Erfolgsrezept“. Ich sage mir schlicht: Zum Einkaufen kommen die Leute doch auch nach Bautzen, warum nicht zum Glaubenskurs?
Als Pfarrerin spiele ich dabei eine geringe Rolle. Ich komme ganz weit hinten ins Spiel, eigentlich erst, wenn Menschen schon auf der Suche gewesen sind, schon einen Weg gegangen sind, wenn es konkret wird: Wo und wie finde ich eine Möglichkeit, meine Fragen loszuwerden? Wo kann ich in Glaubensdingen andocken?
Wir versuchen schlicht, für Leute, die auf der Suche sind, auffindbar zu sein.
Das heißt eigentlich nur, dass es seit vielen Jahren immer wieder Glaubenskurse in Bautzen gibt. (Die ersten fanden soweit ich weiß zu einer Zeit statt, als ich persönlich kaum aus den Windeln war und die Mauer noch stand.) Es gibt eine konkrete Ansprechpartnerin. Es gibt jedes Jahr mindestens einen Kurs. Es gibt ein bisschen Werbung (ausbaufähig), einen guten Kontakt zur hiesigen Diakonie und wer „nur“ dabei sein will, ist auch herzlich eingeladen.
Die fünf Menschen sind inzwischen getauft. Im September steht noch eine Erwachsenentaufe vom letzten Jahr an. Eigentlich wollten wir es damit für dieses Jahr bewenden lassen. Aber dann sprach jemand einen Kollegen an der Kirchentür an, dass derjenige welche unbedingt dieses Jahr noch getauft werden will. Also auf ein Neues! Im Oktober startet der nächste Kurs. Einige Anmeldungen gibt es schon.
Gegen den demografischen Wandel „Antaufen“ kann man meiner Meinung nach nicht.
Da würden wir uns zu wichtig nehmen. Auch unsere Gemeinde schrumpft. Aber jenseits aller Zahlen: mit Erwachsenen auf Glaubenssuche zu gehen, macht einfach riesigen Spaß! Und man kann gemeinsam was auf die Beine stellen.
Das Verrückte in diesen verrückten Zeiten ist: Alle angemeldeten Kindertaufen sind verschoben. In diesem Jahr hatte ich bisher nur Erwachsenentaufen.
Vor ein paar Tagen bekam ich allerdings eine Mail von einer Frau, die schon vor etlichen Jahren an einem Glaubenskurs teilnahm. Sie hat sich nicht taufen lassen. Glaube lässt sich nicht herbeizwingen. Ihr Anliegen ist ein Tauftermin für ihr Baby. Wer weiß, was die Zukunft bringt?