Die Badische Landeskirche schafft den Rahmen für vielfältige Gemeindeformen 

Manchmal bin ich stolz auf meine Badische Landeskirche. Nicht immer. Aber im Moment schon. Grund ist das „Gesetz über besondere Gemeindeformen“, das die Landessynode in ihrer Herbsttagung 2022 beschlossen hat. Mit diesem innovativen Gesetz wird die Badische Landeskirche nicht nur der sich längst entwickelten Wirklichkeit von Gemeindeformen gerecht, sondern sie schafft auch rechtlich abgesicherte „Entfaltungsräume“, in denen sich neue Formen von Kirche entwickeln können.

1. Vielfältige Gemeindewirklichkeit. Gemeinde war und ist mehr als die parochial organisierte Ortsgemeinde. Das war schon immer so. Erst im 9. Jahrhundert ordnete Karl der Große seine Reichskirche nach dem Territorialprinzip. Jeder Kirche wurde ein geografisches Gebiet zugeordnet. Die in diesem Gebiet lebenden Christen waren nun verpflichtet, durch die Abgabe des Zehnten die Kirche ihres Gebietes mit dem dort tätigen kirchlichen Personal zu versorgen. Schon damals existierten jedoch neben so organisierten Parochien andere Formen von kirchlichen Orten; die Klöster spielten dabei die herausragendste Rolle.

Die Kirchenreformbewegung der 1970er Jahre und die vor ca. 20 Jahren entstandene Fresh X-Bewegung haben die Diversität von Gemeinden weiter vorangetrieben. Neben der „klassischen“ territorial organisierten Ortsgemeinde existieren heute eine Vielzahl von „Anstaltsgemeinden“, Personalgemeinden, Gemeinden im digitalen Netzwerk, Jugendgemeinden, Gemeinden im Rahmen landeskirchlicher Gemeinschaften, Fresh X-Initiativen und vieles mehr. Trotzdem sind die Landeskirchen typischerweise weiterhin von der Territorialgemeinde her aufgebaut. Dieses Modell bestimmt weitgehend die kirchliche Wahrnehmung.

Andere Formen von Gemeinden und kirchlichen Orten werden leicht als zweitrangig, nachgeordnet oder die Parochie lediglich ergänzende Formen betrachtet. Das Gesetz über besondere Gemeindeformen schafft nun die längst überfällige Korrektur. Es stellt auch andere Formen von Gemeinden in einen rechtssicheren Raum und damit den traditionellen Parochialgemeinden gleich.

Das Signal ist deutlich: Andere Gemeindeformen sind keine nachgeordneten, zweitrangigen Gemeinden, die sich auf die Parochie beziehen und ihr zuarbeiten sollen - und auf die im Notfall auch verzichtet werden kann. Kirche braucht vielfältige, einander ergänzende und gleichgeordnete Gemeindeformen.

2. Drei neue Gemeindeformen und eine Initiative. Neben der traditionellen Parochialgemeinde schafft das Gesetz rechtlich gestaltete Räume für drei weitere Gemeindeformen und eine Initiative.

2.1. Die Personalgemeinde: Personalgemeinden gibt es schon länger in der Badischen Landeskirche, aber sie werden nun rechtlich klarer geregelt. Personalgemeinden existieren neben den Parochialgemeinden als eigene Körperschaften öffentlichen Rechts. Mitglieder einer Parochialgemeinde könne gleichzeitig Mitglied in der Personalgemeinde sein. Eine Stadtmission ist beispielsweise eine Form einer Personalgemeinde.

2.2. Regionalgemeinde. Eine Regionalgemeinde ist ebenfalls eine eigenständige Gemeinde und Körperschaft öffentlichen Rechts. Sie wird wie andere Gemeinden einem Kirchenbezirk zugeordnet oder einer Kirchengemeinde. Das besondere an ihr: Hier können auch Menschen Mitglieder sein, die gar nicht der evangelischen Kirche angehören, sie können sogar ins Leitungsgremium gewählt werden. So kann beispielsweise eine eigene Jugendkirche zu einer Gemeinde werden.

2.3. Zuordnungsgemeinde. Diese neue Form bietet sich an, wenn Menschen miteinander Gottesdienst feiern, die zu einer besonderen Bekenntnistradition gehören oder in eine Vereinsstruktur eingebunden sind. Wenn z.B. aus einem CVJM-Ortsverein eine Gemeinde hervorgeht, so kann diese die Form der Zuordnungsgemeinde annehmen und dabei weiter Teil des CVJM bleiben. Auch landeskirchlichen Gemeinschaften kann die Form der Zuordnungsgemeinde zuerkannt werden. Oder Internationale Gemeinden, bei denen ihre Mitglieder zugleich Mitglieder ihrer ausländischen Heimatkirche bleiben wollen. Auch in einer Zuordnungsgemeinde ist darum eine Doppelmitgliedschaft möglich: Es können Menschen Mitglieder sein, die zu einer anderen Kirche oder sogar zu gar keiner gehören. Hier öffnet sich zum ersten Mal die Tür zu einer Lockerung des Zusammenhangs von Taufe und Mitgliedschaft. Ungetaufte können Mitglieder einer solchen Gemeindeform sein und sogar sich an ihrer Leitung beteiligen.

2.4. Gemeindeinitiative. Indem Gemeindeinitiativen einen rechtlichen Rahmen erhalten, sollen neue Formen kirchlicher Arbeit (auch Fresh X) anerkannt und gefördert werden. Sie werden als „Vorstufe“ einer rechtlich organisierten Gemeinde im Vollsinn verstanden. Wenn eine neue Initiative entsteht, in der Menschen Gottesdienste miteinander feiern oder sich sozial-diakonisch engagieren, so soll diese Initiative als Teil der Kirche anerkannt und gefördert werden. Die Landeskirche kann diese neue Form finanziell unterstützen und ihr Räume zur Verfügung stellen. Der Kirchenbezirk, in dem die Initiative entsteht, ist aufgefordert, sie wertzuschätzen und für ein gutes Miteinander mit den anderen Gemeinde zu sorgen. Mit dem Gesetz für besondere Gemeindeformen erfahren so beispielsweise Fresh X-Initiativen eine kirchliche Wertschätzung und Aufwertung.

3. Chancen und Herausforderungen. Das Gesetz über besondere Gemeindeformen tritt am 1.Januar 2023 in Kraft. Wird dann alles anders? Alles neu? Mit Sicherheit bricht dann nicht die zweite Reformation in Baden aus. Aber es sind die rechtlichen Voraussetzungen geschaffen, dass sich die Gemeindelandschaft neu ordnen und diverser gestalten kann. Dazu kann man im Protokoll der badischen Landessynode lesen: „Es sollen Wege geöffnet werden dafür, Gemeinde im einzelnen Fall neu zu denken, ohne die bewährten gemeindlichen Strukturen in Frage zu stellen. Zugleich soll es die Möglichkeit geben, flexibel am kirchlichen Leben teilzunehmen, um damit besonderen Bedarfen besser gerecht zu werden.“Der Weg ist also klar: Baden schafft erst die rechtlichen Voraussetzungen und den rechtssicheren Rahmen. Dann können sich bereits bestehende Gemeindeformen und Initiativen in diesen Rahmen einfügen. Und schließlich ist es möglich, dass neue Gemeinden entstehen. CVJM-Ortsverbände können eine eigene Gemeindeform werden. Das Pop-up-Café der Citykirche kann als Gemeindeinitiative anerkannt werden. Eine Gemeinde des Liebenzeller Verbandes kann zur Zuordnungsgemeinde werden. Eine Jugendkirche kann als Gemeinde gleichberechtigt mit anderen organisieren. Räume entstehen, in denen Ehrenamtliche Kirche gestalten können - die Herausforderung dabei bleibt jedoch: Sie müssen es auch tun.

Rechtlich geöffnete Räume müssen auch genutzt werden. Doch darin liegt gerade die missionarische Chance des Gesetzes. Denn neue Gemeindeformen sollen es ja gerade aus dem Grund geben, damit auf neuen und anderen Wegen Menschen mit dem Evangelium erreicht werden, die vom klassischen Gemeindeformat nicht erreicht werden. So kann eine Kirche, die sparen und sich darum aus manchen Arbeitsbereichen zurückziehen muss zugleich missionarischer und innovativer werden.