Diakonie und Caritas als eigene Kirche
Am 23. November trafen sich Vertreter:innen der Kirchen, Diakonie und Caritas im Rahmen des ökumenischen Austauschformats „Agile Kirche und Diakonie (AKuD)“ zur Frage, inwieweit Caritas und Diakonie nicht nur eigene Formen von Kirche, sondern auch eigene Kirche sind.
Nach einem Einstiegsvortrag von Pfarrer Dr. Matthias Fichtmüller (Oberlinhaus) setzten sich die Diskussionen in drei Gruppen fort. Die wesentlichen Argumente und Ansätze der Gruppen haben wir im Folgenden für Sie zusammengefasst:
Diakonie und Caritas sind Kirche
In Anlehnung an die Forderung von Dr. Fichtmüller nach einer eigenen Diakonie- bzw. Caritaskirche wurden folgende Schwerpunkte diskutiert:
Diakonie und Caritas als Volkskirchen
Am Beispiel der Wandlung des Begriffes Volkskirche wird deutlich, dass Diakonie und Caritas diesen viel eher erfüllen, als es die verfasste Kirche zu leisten in der Lage ist bzw. dazu in der Lage sein wird. Denn wenn heute unter Volkskirche nicht mehr die Mitgliedschaft quasi der gesamten Bevölkerung in den beiden großen Kirchen verstanden wird, sondern das Engagement einer Minderheitskirche für die gesamte Bevölkerung – so leisten das Diakonie und Caritas schon längst.
Ihre Angebote richten sich an alle, je nach jeweiliger Notlage oder Bedürfnis und erreichen damit mit tätiger Nächstenliebe deutlich mehr Personen außerhalb der Kirchen, als es die verfassten Kirchen bzw. die Gemeinden mit Mission, Verkündigung aber auch sozialen und bürgerschaftlichen Angeboten schaffen.
Caritas und Diakonie sind Kirche mit Nichtkirchenmitgliedern.
Christentum als Gattungsbegriff
Wenn sich die Entwicklung der Kirchenmitgliedschaft so fortsetzt, wie es in den Regionen Nord- und Ostdeutschlands heute schon der Fall ist, dann wird die Präsenz anderer Formen von Kirche in der Gesellschaft an Gewicht gewinnen und es muss neu über die Frage von Zugehörigkeit nachgedacht werden.
Dazu bietet sich ggf. der Christentumsbegriff an, der als Zugehörigkeitskriterium keine Kirchenmitgliedschaft notwendig hat. Unter ihm sammeln sich dann eigenständige Formen von Kirche mit jeweils eigenen Zugehörigkeitsformen, wie die Bekenntnis- und Beteiligungskirche, die Diakonie oder die christliche Kultur in Form von Musik, Architektur usw.
Die Organisationsformen dieser „christlichen Kirchen“ sind dann neben der Körperschaft öffentlichen Rechts (Gemeinde) auch bspw. Stiftungen und Vereine (Diakonie) oder Fördervereine für Kirchen, Chöre u. a. Sie alle sind als eigenständige Organisationsformen des Christentums Kirche, ggf. auch unabhängig eigener theologischer Grundüberzeugungen.
Diakoniebischof und Caritasbischöfin
Die Bundeswehr beschäftigt 183.346 Soldatinnen und Soldaten. Für sie gibt es neben eigener Seelsorge auch eigene Militärbischöfe: evangelisch und katholisch. In der Diakonie sind derzeit über 600.000 Mitarbeitende beschäftigt, in der Caritas fast 700.000. Als sichtbarer und wirksamer Teil der Kirche (bzw. als Kirche selbst) sollten sie durch eine Bischöfin oder einen Bischof gesellschaftlich wie auch im innerkirchlichen Kontext repräsentiert sein. Damit wäre auch selbstverständlich, dass in verfasstkirchlichen Gremien Diakonie und Caritas in geistlicher Repräsentanz regulär und ständig vertreten sind.
Caritaskirche und Diakoniekirche
Einrichtungen der Caritas und Diakonie übernehmen schon heute wesentliche Funktionen der verfassten Kirche. Besonders im Bereich der religiösen Bildung wirken sie durch Mitarbeitendenfortbildungen weit in die Gesellschaft hinein. Ihr Gottesdienstangebot ergänzt die Gottesdienste der Gemeinden. Insofern emanzipieren sich Caritas und Diakonie davon, reines Genitivobjekt der Kirche zu sein („Wesensäußerung der Kirche“), sondern sie sind selbst Kirche – vollständig und unabhängig. Für eine mögliche Diakoniekirche gilt außerdem, dass sie sich vorbehaltlos auf die Bekenntnisschriften bezieht bzw. diesen verpflichtet sieht.
Und der Deutungsrahmen?
Die Frage, inwieweit eine Diakonie- oder Caritaskirche auf einen Deutungsrahmen zurückgreifen kann, den sie bisher aus der Arbeit der verfassten Kirche gewinnt (Theologie, Sakramentsverwaltung), oder diesen selbst entwickeln muss, wurde angesprochen, blieb aber ungeklärt.
Kleine Kirche Kindergarten
Etwa ein Drittel aller Kindertagesstätten in Deutschland befinden sich in kirchlicher Trägerschaft. An ihnen lässt sich das Thema „Diakonie/Caritas als eigene Kirche“ sehr gut exemplifizieren. Der Kindergarten ist nicht einfach eine Nebenstelle unter anderen in den Einrichtungen der Gemeinde, sondern ein eigenständiges Zentrum von Kirche.
Kita ist Kirche – in ihr werden die vier Grunddienste der Kirche (Diakonia, Martyria, Leiturgia und Koinonia) explizit umgesetzt wie selten an anderen Orten. In ihr geschieht Pastoral, also (nach der knappen Formel von Rainer Bucher) die kreative Konfrontation von Evangelium und Existenz in Wort und Tat.
Im Blick der Pastoral sind natürlich in erster Linie die Kinder – die Jesus bekanntlich als Modell dafür dargestellt hat, wie man sich dem Gottesreich gegenüber verhalten sollte – dann aber auch die Eltern und die Erziehenden. Die Arbeit im Kindergarten ist nichts Anderes als was Jesus gewollt hat – und das wird manchmal vom nichtchristlichen Personal am besten umgesetzt.
Kitas geben der Kirche ein wunderbares, sympathisches Gesicht.
Es sind vitale Orte von Kirche, in denen unterschiedlichste Milieus und Religionen vorkommen. Die Kirche würde eine große Chance vertun, wenn sie die Kindergärten außen vor ließe.
Dass Kitas eigenständige Orte von Kirche und von Pastoral sind, soll sie (und v. a. das Personal) aber auch nicht überfordern oder die Messlatte theologischer Expertise zu hoch legen. Keinesfalls geht es jedenfalls um eine stärkere Anbindung an die Institution Kirche oder gar um die Aufrechterhaltung eines geschlossenen katholischen Milieus. Kitas arbeiten unabhängig von umfassenden Mitgliedschaftsbekenntnissen.
Digitale Diakonie/Caritas und digitale Kirche
Diakonie/Caritas und Kirche(n) können aufeinander verweisen, jeweils füreinander stehen und deutlich machen, dass sie aufeinander bezogen sind – gerade auf Social Media.
Die digitale Kirche hat bestenfalls im Fokus, digitale Communitys zu bauen. Diakonie und Caritas fallen auf Social Media häufig als digitale Litfaßsäule auf, mit vielen Informationen, Jobangeboten und Spendenaufrufen. Und diese sollen besser nicht zu kirchlich wirken, um Interessierte nicht abzuschrecken. Zu viel Nähe zur Kirche scheint für die Personalgewinnung via Instagram & Co eher hinderlich zu sein.
Caritas und Diakonie können dazu beitragen, Kirche durch persönliche Geschichten positiv ins Gespräch zu bringen.
Dabei hat Diakonie-/Caritas-Storytelling so viel Potenzial, sichtbar zu machen, wieviel Wertvolles Menschen aufgrund ihres christlichen Glaubens tun.
Engagierte Öffentlichkeitsarbeiter:innen aus Diakonie, Caritas und Kirche wünschen sich mehr Verlinkung, mehr Gemeinsamkeit von digitaler Diakonie/Caritas und digitaler Kirche. Doch die geeigneten Vernetzungsplattformen oder gemeinsamen Aktionen fehlen noch.