Erzählen statt urteilen: Wenn zuhören wichtiger ist als rechthaben

Dialogforum in Coswig förderte Verständigung zwischen konträren Corona-Erfahrungen

Am 29. September fand in Coswig das fünfte Dialogforum der bundesweiten Initiative #VerständigungsOrte statt, mit dem Titel „Corona – und jetzt? Konsequenzen für Politik und Zusammenhalt“. Während sich der Bundestag und der sächsische Landtag mit der Aufarbeitung der Pandemie beschäftigen, versammelten sich in der Coswiger Börse rund 80 Bürgerinnen und Bürger und diskutierten engagiert über Corona und die Folgen.

Ein Stationenweg ermöglichte den Anwesenden einen ersten intensiven Austausch zum Einfluss von Wissenschaft auf Politik, Verschwörungsmythen und geheimen Absprachen, Medizin und Pharmalobby und zu Rücksicht und persönlicher Freiheit.

Nach einer kurzen Faktenorientierung durch Christian Zöller, den Vorstand des Hauptsponsors der Veranstaltung, des Versicherers im Raum der Kirchen, ging es beim Podiumsgespräch um die persönlichen Geschichten und Erfahrungen hinter den Positionen der Mitwirkenden.

Die Sängerin Stefanie Hertel erzählte dabei eindrücklich von den beruflichen und persönlichen Einschränkungen, die Pandemie und Lockdown für sie als Künstlerin mit sich brachten. Sie wünschte sich, dass die verschiedenen Erfahrungen, Positionen und Bedürfnisse rund um das Thema Corona Raum bekommen und Menschen mit unterschiedlichen Meinungen durch respektvollen Dialog wieder stärker zueinander finden.

Die ehemalige sächsische Justizministerin und Landtagsabgeordnete Katja Meier gewährte Einblicke in die Entscheidungsprozesse auf Regierungsebene, die in der Pandemie unter Hochdruck und innerhalb kürzester Zeit ablaufen mussten, und ordnete anhand eigener Erlebnisse im Rückblick die Sinnhaftigkeit der unterschiedlichen Maßnahmen ein. Sie sprach sich für mehr Transparenz politischer Entscheidungen und einen stärkeren Einbezug von Bürgerinnen und Bürgern aus.

Ausgehend von persönlichen Erfahrungen im ersten Lockdown brachte der Präsident der Diakonie Deutschland Rüdiger Schuch seine persönliche und professionelle Sicht auf die Pandemiejahre zum Ausdruck und betonte die Notwendigkeiten konsequenter Schutzmaßnahmen, die sich aus der Verantwortung von Politik und Diakonie für vulnerable Gruppen ergeben. Gleichzeitig zeigte er sich nachdenklich, wie Entscheidungen und Aufrufe aus guten Absichten von Menschen mit konträren Positionen wahrgenommen werden, und wünschte sich ein gemeinsames Lernen, um zukünftige Herausforderungen kommunikativ besser bewältigen zu können.

Der Rechtsanwalt und rechtliche Betreuer Christoph Apitz betonte die Verantwortung des Staates und den Wert der Grundrechte, die die politischen Pandemiemaßnahmen aus seiner Sicht in ungebührlicher Weise eingeschränkt hatten. Er beklagte die Spaltungen in der Gesellschaft, die er auch in der eigenen Familie erlebt hatte, und plädierte für mehr Gelegenheiten, unterschiedliche Positionen miteinander ins Gespräch zu bringen.

Der Moderator des Abends, der Theologe und freie Reporter Andreas Roth, brachte die weit auseinander liegenden Perspektiven der Podiumsgäste in einen aufmerksamen und konstruktiven Austausch.

Die Teilnehmenden – von deutlichen Coronakritikerinnen bis dezidierten Maßnahmenbefürwortern, von jungen Menschen bis Senioren – konnten in den darauffolgenden Tischgesprächen in kleinen Runden ihre persönlichen Geschichten erzählen. Trotz deutlicher Meinungsunterschiede war die Atmosphäre von Offenheit und respektvollem Zuhören geprägt.

Am Ende des Dialogforums hielten die Teilnehmenden Wünsche für das zukünftige gesellschaftliche Miteinander auf einer „Hoffnungswand“ fest, zum Beispiel „Mut zum Aushalten“, „Beziehung vor Sache“, „Mehr Gelassenheit“, „Unbedingtes Lernen aus allen Erfahrungen“, „Meinungsfreiheit“, „Mut, Fehler einzugestehen“, „Hilfe und Anerkennung für Betroffene“, „Selbst entscheiden dürfen“, „Allen zuhören wollen“, „Prävention“ und „Mehr miteinander ins Gespräch gehen“.

„Trotz der gesellschaftlich aufgeheizten Stimmung konnten sehr unterschiedliche Perspektiven zur Pandemie zu Wort kommen“, resümierte Dr. Harald Lamprecht, Weltanschauungsbeauftragter der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens und Mitorganisator des Abends. „So entstand ein Raum für offenen und respektvollen Austausch, in dem die Menschen auch weit auseinanderliegende Meinungen aushielten und einander ehrlich zuhörten.“

Der Abend zeigte: Auch bei brisanten Themen sind Dialog und Verständigung möglich.

#VerständigungsOrte ist eine Initiative der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), der Diakonie Deutschland und der evangelischen Zukunftswerkstatt midi (www.verständigungsorte.de).