„Frieden schaffen – mit Waffen?!“ – Dialogforum diskutiert aktuelle friedensethische Herausforderungen. Ratsvorsitzende zu Gast in Potsdam
Pressestelle der EKD, Carsten Splitt
Über aktuelle friedensethische Herausforderungen haben am Montag in der Garnisonkirche Potsdam die Besucherinnen und Besucher des Dialogforum „Frieden schaffen – mit Waffen?!“ mit Repräsentantinnen aus Kirche und Politik diskutiert. Im Zentrum stand die Frage, wie angesichts aktueller geopolitischer Bedrohungen Frieden gedacht und verantwortungsvoll gestaltet werden kann.
Die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Bischöfin Kirsten Fehrs, betonte die bleibende Bedeutung gewaltfreier Lösungen: „Die Priorität aller gewaltfreien Lösungen ist mir friedensethisch nach wie vor sehr wichtig.“ Doch angesichts der aktuellen Bedrohungslage sei eine Anpassung der friedensethischen Positionen notwendig: „Ohne die Möglichkeit zur Verteidigung von Leib und Leben – notgedrungen eben auch durch Waffengewalt – ist auch kein dauerhafter, verlässlicher und gerechter Frieden in Sicht“, so Bischöfin Fehrs. Derzeit arbeitet in der EKD eine vom Rat eingesetzte Gruppe des Kammernetzwerks an einem Grundlagentext zur evangelischen Friedensethik.
Mit Blick auf den russischen Angriffskrieg erklärte sie: „Dass wir es in Europa mit einem völkerrechtswidrig Krieg führenden Aggressor zu tun haben, der über Leichen geht und auch nicht zögert, mit dem Einsatz nuklearer Waffen zu drohen, können wir nicht einfach ignorieren.“ Die daraus resultierende Frage nach Abschreckung stelle die Friedensethik vor ein ernstes Dilemma.
Bischöfin Fehrs verwies auf das zerstörerische Potenzial eines Rüstungswettlaufs: „Moderne Waffensysteme haben ein irrsinniges Zerstörungspotential. Umwelt und Lebensgrundlagen werden auf unabsehbare Zeit zu Lasten von Generationen nachkommenden Lebens beschädigt.“ Das ethische Dilemma sei jedoch, dass eine einseitige Abrüstung bedeute, „dass man sich den Interessen eines so unberechenbaren Aggressors, wie es die aktuelle russische Führung ist, letzten Endes wehrlos aussetzen würde.“
Der Friedensbeauftragte der EKD, Bischof Friedrich Kramer, erinnerte an das Symbol des Igels auf Fahrzeugen der Bundeswehr in Zeiten des Kalten Krieges – Ausdruck eines defensiven Selbstverständnisses: Man könne sich wehren, werde aber nicht angreifen. Diese Haltung müsse auch heute über allem stehen, so Kramer. Die Entwicklung und Herstellung sowie den Einsatz und schon die Drohung mit Massenvernichtungswaffen lehnt er aus theologischen und ethischen Gründen grundsätzlich ab. „Hier von einem ‚atomaren Schutzschirm‘ zu reden halte ich für eine unangemessene Beschönigung der Dinge“, so Kramer. Die Aufgabe von Theologie und Kirche sei es, gewaltfreie Lösungswege nach jesuanischem Vorbild hoffnungsvoll zu verkünden und in der Praxis einzufordern.
Der frühere Wehrbeauftragte des Bundestags, Hans-Peter Bartels, forderte eine wirksame Abschreckung: „Nicht Schwäche garantiert heute Sicherheit, sondern glaubwürdige Abschreckung. Dafür sollte das transatlantische Verteidigungsbündnis möglichst eng beisammenbleiben. Auf Deutschland als bevölkerungsreichstes und wirtschaftsstärkstes Land in Europa kommt es dabei besonders an.“
Zum Dialogforum „Frieden schaffen mit Waffen?!“ eingeladen hatten die EKD, die Diakonie Deutschland, die evangelische Zukunftswerkstatt midi sowie die Garnisonkirche Potsdam. Die Veranstaltung ist Teil der Initiative #VerständigungsOrte, die von EKD, Diakonie Deutschland und der Zukunftswerkstatt midi getragen wird. Ziel ist es, Räume für gesellschaftlichen Dialog zu schaffen und aktuelle Konfliktthemen offen zu diskutieren.
Der Krieg ist zurück in Europa – und mit ihm brennende Fragen. Unter dem Titel „Frieden schaffen – mit Waffen?!“ laden die Evangelische Kirche in Deutschland, die Diakonie Deutschland, die evangelische Zukunftswerkstatt midi und die Garnisonkirche Potsdam alle Interessierten zu einem Dialogforum ein: am 16. Juni, von 19 bis 21 Uhr in der Garnisonkirche Potsdam.
Das Dialogforum soll die vielfältigen Perspektiven zum Thema Frieden und Krieg beleuchten und Raum für einen offenen, respektvollen Austausch schaffen. Im Mittelpunkt stehen Fragen wie: Wie halten Gesellschaften Spannungen zwischen Gewaltverzicht und militärischer Notwendigkeit aus? Wie lässt sich Frieden in einer Welt voller Bedrohungen denken? Und was heißt das für Kirche, Politik und jede:n Einzelne:n?
Den Auftakt der Veranstaltung bildet ein Podiumsgespräch mit
Bischöfin Kirsten Fehrs, EKD-Ratsvorsitzende,
Dr. Hans-Peter Bartels, ehem. Wehrbeauftragter des Bundestags und
Landesbischof Friedrich Kramer, Friedensbeauftragter der EKD.
Im Anschluss sind die Teilnehmenden eingeladen, ihre eigenen Geschichten und Zugänge einzubringen und miteinander danach zu fragen, was unsere Gesellschaft zusammenhält. Das Dialogforum bietet Raum für Gespräche und kontroverse Meinungen – solange diese nicht beleidigend, menschenverachtend oder verfassungsfeindlich sind.
Das Dialogforum findet in der Garnisonkirche Potsdam statt – einem spannungsreichen Bildungsort, der Symbol für die enge Verbindung von Glauben, Macht und Militär, nationalsozialistischer Inszenierung und gegenwärtiger Erinnerungskultur zugleich ist.
Durch den Abend führt die Moderatorin Katharina Gerlach. Fabian Vogt begleitet den Abend musikalisch. Der Eintritt ist frei.
Die Veranstaltung ist Teil der Initiative #VerständigungsOrte der EKD, der Diakonie Deutschland und der evangelischen Zukunftswerkstatt midi (einer Arbeitsstelle des Ev. Werks für Diakonie und Entwicklung e.V.) und wird in Kooperation mit der Garnisonkirche Potsdam veranstaltet und durch die finanzielle Unterstützung der GlücksSpirale ermöglicht. Kirche und Diakonie wollen mit der Initiative #VerständigungsOrte Raum für gesellschaftlichen Dialog schaffen und den Austausch über öffentliche Konfliktthemen in Deutschland voranbringen (www.verständigungsorte.de).
Veranstaltungsdetails auf einen Blick:
Was? Dialogforum "Frieden schaffen – mit Waffen?!“
Wann? Montag, 16. Juni 2025, 19:00-21:00 Uhr
Wo? Garnisonkirche Potsdam
Wir laden Medienvertreterinnen und -vertreter herzlich ein, die Veranstaltung zu begleiten und darüber zu berichten. Bitte melden Sie sich bis zum 14. Juni an – per E-Mail an verstaendigungsorte@mi-di.de.
Weitere Informationen
Im Rahmen der Initiative #VerständigungsOrte bieten Kirchengemeinden und andere kirchliche und diakonische Einrichtungen Orte zum Austausch über gesellschaftliche Krisen und Konflikte an. Die Initiative unterstützt die Verantwortlichen vor Ort mit Tipps, Material, Praxisbeispielen und digitalen Coachings. Außerdem finden 2025 sechs #VerständigungsOrte-Dialogforen mit prominenten Gästen zu den Themen Migration, Frieden, Corona, Klima, Minderheiten und rechtsextreme Gewalt statt. www.verständigungsorte.de
Wissenschaftlich liegt der Initiative die midi-Studie „Verständigungsorte in polarisierenden Zeiten” (https://www.mi-di.de/verstaendigungsorte#studie) zugrunde. Sie liefert wertvolle Einsichten zur Stimmungslage der Menschen in Deutschland, zur gefühlten Spaltung der Gesellschaft und zur Notwendigkeit von Verständigung.
Pfarrer Dr. Jan Kingreen, Programmvorstand der Stiftung Garnisonkirche Potsdam / Friedensbeauftragter der Ev. Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO): kingreen@garnisonkirche-potsdam.de, 0170 3086615
Dr. Sigurd Rink, Referent bei der Evangelischen Arbeitsstelle midi: sigurd.rink@mi-di.de, 0172 1067571
Am Abend des 10. April 2025 fand in der Ludwigsburger Friedenskirche unter dem Titel „Ist das Boot voll? Ludwigsburg und seine Flüchtlinge“ das zweite große Dialogforum der Initiative #VerständigungsOrte statt. Die Initiative der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Diakonie Deutschland zusammen mit der Zukunftswerkstatt midi möchte Menschen zu polarisierenden Themen in unserer Gesellschaft zusammen- und ins gegenseitige Zuhören bringen.
Dass das Dialogforum den Nerv traf, zeigen die fast 200 Besuchenden unterschiedlichster Hintergründe, die in der Friedenskirche an diesem Donnerstagabend zusammenkamen, um miteinander zu sprechen. Die Einladung – u. a. auf Plakaten an der Bundesstraße – richtete sich an alle Menschen, die zum Thema Migration in Austausch gehen wollten. Dabei galt: Alle Meinungen können gehört werden – solange sie nicht beleidigend, menschenverachtend oder verfassungsfeindlich sind.
Nach einem eröffnenden Podiumsgespräch zwischen der ersten Bürgermeisterin Ludwigsburgs, Renate Schmetz, der CDU-Abgeordneten des Europäischen Parlaments, Andrea Wechsler, und der Regisseurin, Aktivistin und TV-Moderatorin Mo Asumang sprachen die Bürger:innen Ludwigsburgs miteinander. In kleinen Gesprächsgruppen erzählte man sich, wie es einem persönlich mit dem Thema Migration in Ludwigsburg geht. Ängste kamen ebenso zur Sprache wie Hoffnungen oder auch der Anspruch an sich selbst, konstruktiv eine Lösung mitzugestalten. „Endlich hört mir jemand zu“ - dieser Satz war an vielen Tischen zu vernehmen.
„Ich fand es besonders beeindruckend, dass an dem Tisch, an dem wir diskutiert haben, wirklich jeder zu Wort gekommen ist und erstmal seine persönlichen Gefühle darlegen konnte; und so mit dem ‚Heißreden‘ auch wirklich die Gefühle rauskamen – wo man dann auch Ängste, Unsicherheiten und Vorbehalte an den Tag gebracht hat. Und sich dann aber auch wirklich die Zeit zu nehmen, dem anderen zuzuhören – das ist so gut gelungen. An unserem Tisch wollten wir gar nicht aufhören zu reden“, schildert Renate Schmetz.
Am Ende bedankten sich viele der Teilnehmenden, dass die Friedenskirche diesen offenen Dialog ermöglicht hatte. Sie waren überrascht, dass es auch bei einem so brisanten Thema möglich gewesen war, einander ruhig und konzentriert zuzuhören und die verschiedenen Meinungen auszuhalten. „Kirche macht hier wirklich, was sie machen sollte: Sie bringt Menschen zusammen. Und das ist sehr, sehr wichtig. Und vor allem bringt sie Menschen zusammen, die eine ganz unterschiedliche Meinung haben. Weil: Da prallen Welten aufeinander, da wird man getriggert – und das muss man tatsächlich üben. Das ist ein toller Lernort geworden hier in der Kirche“, so Mo Asumang.
„Es war ein sehr gelungener Abend“, urteilten auch die Initiatoren Pfarrer Martin Wendte von der Friedenskirche und Tobias Kirchhof, Referent bei der Zukunftswerkstatt midi, und fügten hinzu: „Aber das ist nur der Anfang. Die Initiative #Verständigungsorte beginnt erst, Fahrt aufzunehmen. Viele Kirchengemeinden und diakonische Einrichtungen wollen die Idee aufnehmen und fortsetzen.“
#VerständigungsOrte ist eine Initiative der Evangelischen Kirche in Deutschland, der Diakonie Deutschland und der Evangelischen Zukunftswerkstatt midi – www.verständigungsorte.de.
Neuer Termin für #Verständigungsort: Anna-Nicole Heinrich beim Gaststätten-Talk zur Frage „Ist das noch meine Kirche?“
Carsten Splitt, Hannover: Die Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Anna-Nicole Heinrich, geht angesichts weiterhin hoher Austrittszahlen aus den christlichen Kirchen in Deutschland in die Offensive: „Die Kirche ist besser als ihr Ruf. Ihre Mitglieder leisten tagtäglich millionenfach unverzichtbare Beiträge zum gesellschaftlichen Miteinander in Deutschland. Und sie bewahren Jahrtausende alte Traditionen, die uns mehr denn je dabei helfen, aktuelle Krisen und Nöte zu überwinden.“ Dazu gehöre auch eine am Nächsten ausgerichtete Gesprächskultur. Heinrich warb im Vorfeld ihrer Teilnahme am Verständigungsort „Horch Amoal“ im fränkischen Lauf a. d. Pegnitz dafür, „Kirche auch dann weiter zu unterstützen, wenn sie einem mal gegen den Strich geht.“ An dem Talk, an dem neben ihr auch der Theologie- und Philosophieprofessor Ralf Frisch teilnimmt, wird in offener Runde die Frage diskutiert „Ist das noch meine Kirche?“.
Für Heinrich geht es dabei nicht um die Frage, wie Kirche im besten Fall sein solle, sondern wie man die unterschiedlichen Ansprüche miteinander vereinbaren kann. „Die Polarisierung, die in vielen Fragen derzeit in der Gesellschaft stattfindet, geht natürlich auch an der Kirche nicht spurlos vorbei. „Dem einen ist die Kirche zu links, der Nächste will überhaupt keine Äußerungen zu politischen Themen und der Übernächste wünscht sich einen noch kräftigeren Einsatz für Geflüchtete. Da geht es nicht nur in der Kneipe, sondern auch in den Gemeinden teilweise hoch her. Polarisierung lässt sich auch in der Kirche nicht einfach wegbeten“, so Anna-Nicole Heinrich. Die Augen davor zu verschließen, dass alle in der evangelischen Kirche unterschiedliche Ansprüche aus der Vielfalt des Evangeliums haben und einfach wegzurennen, sei aber auch keine Lösung. „Wir müssen konstruktiv miteinander im Gespräch bleiben und auch mal ein paar Meter in den Schuhen des anderen unterwegs sein“, schlägt Heinrich vor. Tatsächlich komme dem Gebet und der Liturgie, auf die Christ*innen zurückgreifen können, dabei aber eine Funktion zu, die anderen Institutionen nicht zur Verfügung stehen. „Da wo Dinge wirklich zerbrochen sind, wo Argumente und Diskussionen unmöglich erscheinen, haben wir in liturgischer Sprache, in Gebet und Gesang eine ganz andere Ebene, auf der eine Grundverständigung, eine Gemeinschaft noch bestehen kann. Das mag für einige befremdlich klingen, aber der Grundsatz ‘Im Anderen immer Jesus sehen‘ hat mich schon durch viele harte Diskussionen geführt“, so Heinrich. „Trotz gänzlich unterschiedlicher Auffassungen, müsse es gelingen, den anderen immer noch als Mensch mit seinen eigenen Anliegen und Sorgen wahr- und ernst zu nehmen. Diese Grundhaltung wünsche ich mir auch für die Gesellschaft insgesamt“, so die Präses.
Migration bewegt und polarisiert: Unter dem Titel "Ist das Boot voll? Ludwigsburg und seine Flüchtlinge" sind die Einwohner*innen Ludwigsburgs von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), der Diakonie Deutschland, der Evangelischen Zukunftswerkstatt midi, der Gemeinde der Ludwigsburger Friedenskirche und der Katholischen Erwachsenenbildung zu einem offenen Dialogforum eingeladen. Die Veranstaltung findet am 10. April 2025 von 19 bis 21 Uhr in der Friedenskirche Ludwigsburg statt.
Ziel des Dialogforums ist es, die vielfältigen Perspektiven zum Thema Migration zu beleuchten und Raum für einen offenen, respektvollen Austausch zu schaffen. Im Mittelpunkt stehen Fragen wie: Können wir als Gesellschaft einen guten Umgang mit Migration entwickeln? Muss Migration stärker eingeschränkt werden? Und was bedeutet dies für die geplante Landeserstaufnahmeeinrichtung in Ludwigsburg?
Den Auftakt der Veranstaltung bildet ein Podiumsimpuls:
Renate Schmetz, Erste Bürgermeisterin von Ludwigsburg
Mo Asumang, Regisseurin
Prof. Dr. Andrea Wechsler, Politikerin, Abgeordnete des Europäischen Parlaments
Im Anschluss sind die Teilnehmenden eingeladen, ihre eigenen Perspektiven einzubringen. Das Forum bietet Raum für Gespräche, Fragen und kontroverse Meinungen – solange diese nicht beleidigend, menschenverachtend oder verfassungsfeindlich sind. Die Theatergruppe Q-rage begleitet die Veranstaltung künstlerisch.
Das Dialogforum ist Teil der bundesweiten Initiative #VerständigungsOrte (www.verständigungsorte.de), die von Kirche und Diakonie initiiert wurde, um der gesellschaftlichen Spaltung entgegenzuwirken. Es bietet Bürgerinnen und Bürgern unterschiedlichster Hintergründe die Gelegenheit, eigene Erfahrungen zu teilen und zuzuhören, um gemeinsam neue Wege für ein solidarisches Miteinander zu finden.
Veranstaltungsdetails auf einen Blick:
Was? Dialogforum "Ist das Boot voll? Ludwigsburg und seine Flüchtlinge"
Wann? Donnerstag, 10. April 2025, 19:00 - 21:00 Uhr
Wo? Friedenskirche Ludwigsburg
Wir laden Medienvertreterinnen und -vertreter herzlich ein, die Veranstaltung zu begleiten und darüber zu berichten. Bitte melden Sie sich bis zum 9. April an unter: tobias.kirchhof@mi-di.de
Weitere Informationen
Im Rahmen der Initiative #VerständigungsOrte bieten Kirchengemeinden und andere kirchliche und diakonische Einrichtungen Orte zum Austausch über gesellschaftliche Krisen und Konflikte an. Die Initiative unterstützt die Verantwortlichen vor Ort mit Tipps, Material, Praxisbeispielen und digitalen Coachings. Außerdem finden 2025 sechs #VerständigungsOrte-Dialogforen mit prominenten Gästen zu den Themen Migration, Frieden, Corona, Klima, Minderheiten und rechtsextreme Gewalt statt. www.verständigungsorte.de
Wissenschaftlich liegt der Initiative die midi-Studie „Verständigungsorte in polarisierenden Zeiten” (https://www.mi-di.de/verstaendigungsorte#studie) zu Grunde. Sie liefert wertvolle Einsichten zur Stimmungslage der Menschen in Deutschland, zur gefühlten Spaltung der Gesellschaft und zur Notwendigkeit von Verständigung.
„Hanau und die Anschläge – was bleibt und wie geht es weiter?“: Unter dieser Frage fand am Montagabend eine Diskussionsrunde mit Etris Hashemi, Überlebender des Hanauer Anschlags, Kirsten Fehrs, Bischöfin und Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche Deutschland (EKD) und Bürgermeister Dr. Maximilian Bieri in der Hanauer Marienkirche statt. Eine Veranstaltung des Kirchenkreises Hanau, bei dem Erinnerung und Blick nach vorne aufeinander trafen.
„Eine lebendige, demokratische Stadtgesellschaft braucht das Gespräch“, stellte Dekan Dr. Martin Lückhoff bei der Begrüßung der Gäste fest. „Sie braucht Orte und Formate, die ermöglichen, dass Menschen einander zuhören, nachfragen und miteinander ins Gespräch kommen.“ Dazu wolle die Evangelische Kirche in Hanau mit dem Dialogforum einladen. Auch wenn der 19. Februar ein Hanauer Ereignis sei, weise er doch weit über die Stadt hinaus. Zu verstehen, was geschehen sei und welche Folgen dieses schreckliche Ereignis für die neun Familie, eine Stadt und die bundesrepublikanische Gesellschaft habe, fordere immer wieder neu heraus. „Der Umgang damit bleibt eine gesamtgesellschaftliche Gestaltungsaufgabe.“
Wie wichtig es ist, sich an die Geschehnisse des 19. Februars 2020 zu erinnern, betonte auch Etris Hashemi. Sein Bruder Said Nesar Hashemi gehört zu den Opfern des Anschlags, er selbst überlebte schwer verletzt. „Erinnerung ist extrem wichtig, weil sie zugleich auch eine Mahnung für die Zukunft sein kann“, stellt er fest. Die schrecklichen Geschehnisse könne man nicht rückgängig machen. Aber es gehe darum, sie aufzuklären und daraus zu lernen. Dies könne helfen, vielen anderen Menschen ähnliches Leid, wie es die Opfer des Hanauer Anschlags erlebt haben, zu ersparen. Erinnerung, Aufklärung, Konsequenzen und Gerechtigkeit seien die Ziele gewesen, für die die Angehörigen der Opfer sich seitdem einsetzen. Nicht immer sei man dabei mit der Politik einer Meinung, wie er feststellt. Etwas, das dazu gehöre und in Ordnung sei. Für die nun getroffene Entscheidung zum Mahnmal sei er dennoch dankbar: „Am Ende des Tages geht es auch darum, nach vorne zu schauen“, stellt er fest. Doch dafür müsse man auch auf das zurückblicken, was passiert sei.
Wie unfassbar dieses Ereignis für viele Hanauer und Hanauerinnen gewesen sei, fasst Bürgermeister Dr. Maximilian Bieri zusammen: Ein rassistischer Anschlag könne zwar passieren, aber in einer offenen, vielfältigen und multikulturellen Stadt wie Hanau sei die Wahrscheinlichkeit dafür kleiner als anderswo. „Das war damals das Grundgefühl.“ Die aufkommende Corona-Pandemie habe den Prozess des Zusammenfindens nach dem Anschlag jedoch erschwert. Auch wenn heute, fünf Jahre später, ein Großteil der Bürger nicht mehr täglich an das Attentat denke, gebe es dennoch eine große Mehrheit, die einen würdigen und guten Umgang mit diesem Ereignis wünscht. Hier habe man mit dem Haus der Demokratie und Vielfalt und der Gestaltung des Mahnmals etwas Gutes auf den Weg gebracht. Eine gute Erinnerungskultur sei dabei auch wichtig für Versöhnung und Verständigung, wie Bischöfin Fehrs ausführte. Sie könne dazu beitragen, dass das Geschehene nicht nur sinnlos gewesen sei sondern etwas, aus dem Kraft entstehen, die zur Veränderung führe. Dabei brauche es grundsätzlich aber auch eine größere Sensitivität für die Opfer ein größeres Bewusstsein für Rassismus. Die politische Instrumentalisierung von Anschlägen verurteilt sie klar. Menschen aus einem anderen Land zu helfen, hier eine neue Heimat zu finden, sei ein Grundwert der christlichen Religion.
Doch was könne man konkret tun, um solche Taten zukünftig zu verhindern? Auf die Frage von Moderator Dr. Siegfried Krückeberg gibt es leider keine einfache Antwort, wie auch Hashemi weiß. „Was wir aber machen können, ist, zu versuchen, dem vorzubeugen“, stellt er fest. Dabei hält er vor allem die Bildungsarbeit für ein wichtiges Instrument, um speziell die neuen Generationen zu erreichen. Es sei außerdem wichtig, Räume zu schaffen für Diskussion, Austausch und Erinnerung. Und es braucht eine klare gesellschaftliche Haltung, wie Bischöfin Fehrs betont: „Jede Form von Extremismus braucht unser Nein.“
80 Prozent der Menschen in Deutschland nehmen eine Spaltung der Gesellschaft wahr. Zu diesem alarmierenden Ergebnis kommt die Studie „Verständigungsorte in polarisierenden Zeiten“ von midi, der Zukunftswerkstatt von Diakonie und evangelischer Kirche. Die gefühlte Spaltung verläuft nach Ansicht der meisten Befragten zwischen einer kleinen Minderheit und einer großen Mehrheit.
Nur knapp die Hälfte der Befragten ist mit der Demokratie in Deutschland zufrieden. Zwei Drittel der Befragten sind über gesellschaftliche Entwicklungen oder Ereignisse verärgert, viele sogar wütend. Besonders gering ist das Vertrauen in politische Institutionen wie Parteien und die Bundesregierung.
Jeder dritte Befragte hat bereits erlebt, dass Diskussionen über polarisierende Themen unsachlich oder respektlos verlaufen, ein Drittel der Befragten hat schon einmal den Kontakt zu Menschen wegen kontroverser Themen eingeschränkt oder abgebrochen. Dies führt dazu, dass der Austausch über polarisierende Themen bewusst vermieden wird.
Hier setzt die Kampagne #VerständigungsOrte an, mit der Evangelische Kirche und Diakonie deutschlandweit Orte des Dialogs über gesellschaftliche Krisen und Konflikte schaffen.
Bischöfin Kirsten Fehrs, Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland: „Die Ergebnisse der Studie kann man durchaus als alarmierend bezeichnen. Die meisten Menschen in unserem Land spüren eine Spaltung. Und viele ziehen sich in ihre Blasen zurück. Als Kirche und Diakonie leiten wir daraus – und auch aus unserer biblisch-geistlichen Tradition – einen Auftrag und eine Verpflichtung ab. Wir wollen uns für Verständigung, Dialog und ein respektvolles Miteinander stark machen. Mit der Kampagne #VerständigungsOrte wollen wir dafür Räume schaffen und sichtbar machen.“
Rüdiger Schuch, Präsident der Diakonie Deutschland: „Es sind nicht nur äußere Faktoren wie der Krieg in der Ukraine, die vielen Menschen Angst machen. Auch rapide gesellschaftliche Veränderungen und eine zunehmende Einkommensungleichheit sorgen für Verunsicherung. Hier gilt es, genau hinzusehen und diese vielen Realitäten in den Blick zu nehmen, sie auszusprechen – und dann in einen Dialog zu kommen, auf Augenhöhe und mit Respekt. Denn: Wir brauchen weniger Konfliktarenen. Wir brauchen mehr Verständigungsorte!“
Dr. Klaus Douglass, Direktor Zukunftswerkstatt von Diakonie und evangelischer Kirche (midi): „Die Herausforderungen sind groß. Mit der Kampagne #VerständigungsOrte wollen Kirche und Diakonie im Jahr nach der Bundestagswahl den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken, der gefühlten Polarisierung entgegenwirken und tragfähige Antworten auf die Frage liefern: Wie wollen wir in Deutschland zukünftig gemeinsam leben?“
Im Rahmen der Kampagne bieten Kirchengemeinden und andere kirchliche und diakonische Einrichtungen Orte zum Austausch über gesellschaftliche Krisen und Konflikte an. Die Kampagne unterstützt die Verantwortlichen vor Ort mit Tipps, Material, Praxisbeispielen und digitalen Coachings. Außerdem finden 2025 sechs #VerständigungsOrte-Dialogforen mit prominenten Gästen zu den Themen Migration, Frieden, Corona, Klima, Minderheiten und rechtsextreme Gewalt statt.