Dialogforum in Coswig förderte Verständigung zwischen konträren Corona-Erfahrungen
Am 29. September fand in Coswig das fünfte Dialogforum der bundesweiten Initiative #VerständigungsOrte statt, mit dem Titel „Corona – und jetzt? Konsequenzen für Politik und Zusammenhalt“. Während sich der Bundestag und der sächsische Landtag mit der Aufarbeitung der Pandemie beschäftigen, versammelten sich in der Coswiger Börse rund 80 Bürgerinnen und Bürger und diskutierten engagiert über Corona und die Folgen.
Ein Stationenweg ermöglichte den Anwesenden einen ersten intensiven Austausch zum Einfluss von Wissenschaft auf Politik, Verschwörungsmythen und geheimen Absprachen, Medizin und Pharmalobby und zu Rücksicht und persönlicher Freiheit.
Nach einer kurzen Faktenorientierung durch Christian Zöller, den Vorstand des Hauptsponsors der Veranstaltung, des Versicherers im Raum der Kirchen, ging es beim Podiumsgespräch um die persönlichen Geschichten und Erfahrungen hinter den Positionen der Mitwirkenden.
Die Sängerin Stefanie Hertel erzählte dabei eindrücklich von den beruflichen und persönlichen Einschränkungen, die Pandemie und Lockdown für sie als Künstlerin mit sich brachten. Sie wünschte sich, dass die verschiedenen Erfahrungen, Positionen und Bedürfnisse rund um das Thema Corona Raum bekommen und Menschen mit unterschiedlichen Meinungen durch respektvollen Dialog wieder stärker zueinander finden.
Die ehemalige sächsische Justizministerin und Landtagsabgeordnete Katja Meier gewährte Einblicke in die Entscheidungsprozesse auf Regierungsebene, die in der Pandemie unter Hochdruck und innerhalb kürzester Zeit ablaufen mussten, und ordnete anhand eigener Erlebnisse im Rückblick die Sinnhaftigkeit der unterschiedlichen Maßnahmen ein. Sie sprach sich für mehr Transparenz politischer Entscheidungen und einen stärkeren Einbezug von Bürgerinnen und Bürgern aus.
Ausgehend von persönlichen Erfahrungen im ersten Lockdown brachte der Präsident der Diakonie Deutschland Rüdiger Schuch seine persönliche und professionelle Sicht auf die Pandemiejahre zum Ausdruck und betonte die Notwendigkeiten konsequenter Schutzmaßnahmen, die sich aus der Verantwortung von Politik und Diakonie für vulnerable Gruppen ergeben. Gleichzeitig zeigte er sich nachdenklich, wie Entscheidungen und Aufrufe aus guten Absichten von Menschen mit konträren Positionen wahrgenommen werden, und wünschte sich ein gemeinsames Lernen, um zukünftige Herausforderungen kommunikativ besser bewältigen zu können.
Der Rechtsanwalt und rechtliche Betreuer Christoph Apitz betonte die Verantwortung des Staates und den Wert der Grundrechte, die die politischen Pandemiemaßnahmen aus seiner Sicht in ungebührlicher Weise eingeschränkt hatten. Er beklagte die Spaltungen in der Gesellschaft, die er auch in der eigenen Familie erlebt hatte, und plädierte für mehr Gelegenheiten, unterschiedliche Positionen miteinander ins Gespräch zu bringen.
Der Moderator des Abends, der Theologe und freie Reporter Andreas Roth, brachte die weit auseinander liegenden Perspektiven der Podiumsgäste in einen aufmerksamen und konstruktiven Austausch.
Die Teilnehmenden – von deutlichen Coronakritikerinnen bis dezidierten Maßnahmenbefürwortern, von jungen Menschen bis Senioren – konnten in den darauffolgenden Tischgesprächen in kleinen Runden ihre persönlichen Geschichten erzählen. Trotz deutlicher Meinungsunterschiede war die Atmosphäre von Offenheit und respektvollem Zuhören geprägt.
Am Ende des Dialogforums hielten die Teilnehmenden Wünsche für das zukünftige gesellschaftliche Miteinander auf einer „Hoffnungswand“ fest, zum Beispiel „Mut zum Aushalten“, „Beziehung vor Sache“, „Mehr Gelassenheit“, „Unbedingtes Lernen aus allen Erfahrungen“, „Meinungsfreiheit“, „Mut, Fehler einzugestehen“, „Hilfe und Anerkennung für Betroffene“, „Selbst entscheiden dürfen“, „Allen zuhören wollen“, „Prävention“ und „Mehr miteinander ins Gespräch gehen“.
„Trotz der gesellschaftlich aufgeheizten Stimmung konnten sehr unterschiedliche Perspektiven zur Pandemie zu Wort kommen“, resümierte Dr. Harald Lamprecht, Weltanschauungsbeauftragter der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens und Mitorganisator des Abends. „So entstand ein Raum für offenen und respektvollen Austausch, in dem die Menschen auch weit auseinanderliegende Meinungen aushielten und einander ehrlich zuhörten.“
Der Abend zeigte: Auch bei brisanten Themen sind Dialog und Verständigung möglich.
#VerständigungsOrte ist eine Initiative der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), der Diakonie Deutschland und der evangelischen Zukunftswerkstatt midi (www.verständigungsorte.de).
Dialogforum in Dortmund förderte Verständigung zwischen gegensätzlichen Positionen zum Klimawandel
Am 22. September fand in der Dortmunder Stadtkirche St. Reinoldi das vierte Dialogforum der bundesweiten Initiative #VerständigungsOrte statt – mit dem provokativen Titel „Die Zukunft wird heiß! Wer zahlt beim Klima drauf und wer gewinnt?“. Rund 80 Teilnehmende tauschten sich in kleinen Gruppen über die drängendste Herausforderung unserer Zeit aus: die Klimakrise und die sozialökologische Transformation.
Nach einer kurzen Faktenorientierung durch Christian Müller, den Nachhaltigkeitsbeauftragten des Hauptsponsors der Veranstaltung, der Bank für Kirche und Diakonie, ging es beim Podiumsgespräch vor allem um die persönlichen Geschichten und Erfahrungen hinter den jeweiligen Positionen.
Carla Hinrichs, Klimaaktivistin und Sprecherin der Neuen Generation (ehemals Letzte Generation), berichtete davon, wie schon in ihrer Jugend das Versprechen, dass es ihrer Generation einmal besser werde, angesichts der Klimakrise zerbrach. Sie sprach davon, wie sie ihr Studium abbrach, um Klimaaktivistin zu werden, und wie eines Tages Polizisten mit gezogener Waffe in ihrer Wohnung standen und sie wegen Gründung einer kriminellen Vereinigung verhafteten.
Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Dürr erzählte, wie ihn seine Faszination von marktwirtschaftlichen Lösungswegen dazu führte, seine Diplomarbeit über den internationalen Emissionshandel zu verfassen, und wie er auch mit seinen Kindern darüber im Gespräch ist.
Besonders eindrucksvoll war die globale Perspektive, die Ina Hommers von der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit einbrachte – etwa durch ihre Erfahrungen in Nigeria und am Horn von Afrika, wo die Folgen der Erderhitzung bereits spürbar sind, aber teilweise auch heute schon Lösungen wie Energieversorgung durch dezentrale Photovoltaikanlagen entstehen.
Der durch den Abend führende TV-Moderator Peter Großmann (ARD) brachte die weit auseinander liegenden Perspektiven der Podiumsgäste in einen aufmerksamen und konstruktiven Austausch.
In den anschließenden Tischgesprächen konnten die Teilnehmenden – von jungen Menschen bis Senioren, von FDP-Mitgliedern bis Klimaaktivistinnen – in kleinen Runden ihre Meinungen und Geschichten teilen. Trotz mancher hitzigen Diskussionen war die Atmosphäre von Offenheit und respektvollem Zuhören geprägt.
Künstlerische Beiträge des Musikers und Kabarettisten Fabian Vogt und des Theaterprojekts Klima-Monologe, das die authentische Erzählung einer jungen Frau mitten in den verheerenden Bränden in Kalifornien Anfang 2025 eindrücklich in Szene setzte, verliehen dem Abend eine tiefere, emotionale Dimension. Am Ende des Dialogforums hielten die Teilnehmenden konkrete Hoffnungen für die Zukunft auf einer „Hoffnungswand“ fest.
„Das Ziel, die vielfältigen gesellschaftlichen Perspektiven zu Klimakrise und Transformation zu Wort kommen zu lassen und einen Raum für offenen und respektvollen Austausch zu schaffen, wurde erreicht“, resümierte Sigurd Rink, Referent bei der evangelischen Zukunftswerkstatt midi und Mitorganisator des Abends. „Trotz weit auseinanderliegender Positionen konnten die Teilnehmenden die verschiedenen Meinungen im Raum aushalten und einander ehrlich zuhören.“
Der Abend zeigte: Auch bei brisanten Themen sind Dialog und Verständigung möglich. Viele Teilnehmende bedankten sich nach dem offiziellen Ende für die bereichernde Erfahrung und blieben bei Imbiss und Getränken noch weiter im Gespräch.
#VerständigungsOrte ist eine Initiative der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), der Diakonie Deutschland und der evangelischen Zukunftswerkstatt midi (www.verständigungsorte.de).
Berlin, 11. September 2025 – Corona ist nicht vorbei, sondern für viele Menschen Gegenwart und Reizthema. Unter dem Titel „Corona – und jetzt? Konsequenzen für Politik und Zusammenhalt“ laden die Evangelische Kirche in Deutschland, die Diakonie Deutschland, die evangelische Zukunftswerkstatt midi, die Evangelische Akademie Sachsen und die Diakonie Sachsen zusammen mit ver.di, GEW, DEHOGA und weiteren Kooperationspartnern alle Interessierten zu einem Dialogforum ein. Es findet am Montag, den 29. September von 18 bis 21 Uhr in der Börse Coswig bei Dresden statt.
Das Dialogforum bietet einen Raum für einen offenen, respektvollen Austausch und beleuchtet die vielfältigen Perspektiven zum Thema Corona. Im Mittelpunkt stehen Fragen wie: Was können wir aus der Pandemiezeit lernen – für das politische Handeln, für das Vertrauen in der Gesellschaft und den Umgang miteinander? Muss die Pandemiezeit aufgearbeitet werden, wie verschiedene Stimmen fordern – und, wenn ja: Wie kann das sinnvoll geschehen?
Nach einer interaktiven Einstiegsrunde folgt ein Podiumsgespräch mit
Stefanie Hertel, Sängerin und Moderatorin
Katja Meier MdL, sächsische Staatsministerin der Justiz und für Demokratie, Europa und Gleichstellung a. D.
Rüdiger Schuch, Präsident der Diakonie Deutschland und
Christoph Apitz, Rechtsanwalt und rechtlicher Betreuer.
Im Anschluss sind die Teilnehmenden eingeladen, ihre eigenen Geschichten und Zugänge einzubringen und miteinander danach zu fragen, was unsere Gesellschaft zusammenhält. Das Dialogforum bietet Raum für Gespräche und kontroverse Meinungen.
Durch den Abend führt Andreas Roth, Theologe und freier Reporter u. a. für MDR und Deutschlandfunk. Der Eintritt ist frei. Eine Anmeldung ist möglich und dient der besseren Planung. Alle Informationen und Anmeldemöglichkeit unter https://www.mi-di.de/verstaendigungsorte/events/corona-und-jetzt.
Das Dialogforum ist eine Veranstaltung der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), der Diakonie Deutschland, der evangelischen Zukunftswerkstatt midi (einer Arbeitsstelle des Evangelischen Werks für Diakonie und Entwicklung e.V.), der Evangelischen Akademie Sachsen und der Diakonie Sachsen in Kooperation mit ver.di Bezirk Sachsen-West-Ost-Süd, GEW Sachsen, DEHOGA Sachsen, Diakonie Meißen und dem Ev.-Luth. Kirchspiel Coswig-Weinböhla-Niederau, mit freundlicher Unterstützung durch den Versicherer im Raum der Kirchen (VRK) sowie das Bundesministerium für Bildung, Familie, Senioren und Jugend im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie leben!“. Die Veranstaltung ist Teil der Initiative #VerständigungsOrte, mit der Kirche und Diakonie Raum für gesellschaftlichen Dialog schaffen und den Austausch über öffentliche Konfliktthemen in Deutschland voranbringen (www.verständigungsorte.de).
Veranstaltungsdetails auf einen Blick:
Was? Dialogforum „Corona – und jetzt? Konsequenzen für Politik und Zusammenhalt“
Wann? Montag, 29. September 2025, 18:00-21:00 Uhr
Wo? Börse Coswig (Sachsen)
Wir laden Medienvertreterinnen und -vertreter herzlich ein, die Veranstaltung zu begleiten und darüber zu berichten. Bitte melden Sie sich bis zum 26. September an – per E-Mail an verstaendigungsorte@mi-di.de.
Weitere Informationen
Im Rahmen der Initiative #VerständigungsOrte bieten Kirchengemeinden und andere kirchliche und diakonische Einrichtungen Orte zum Austausch über gesellschaftliche Krisen und Konflikte an. Die Initiative unterstützt die Verantwortlichen vor Ort mit Tipps, Material, Praxisbeispielen und digitalen Coachings. Außerdem finden 2025 und 2026 sechs #VerständigungsOrte-Dialogforen mit prominenten Gästen zu den Themen Migration, Frieden, Corona, Klima, soziale Gerechtigkeit und rechtsextreme Gewalt statt. www.verständigungsorte.de
Wissenschaftlich liegt der Initiative die midi-Studie „Verständigungsorte in polarisierenden Zeiten” (https://www.mi-di.de/verstaendigungsorte#studie) zugrunde. Sie liefert wertvolle Einsichten zur Stimmungslage der Menschen in Deutschland, zur gefühlten Spaltung der Gesellschaft und zur Notwendigkeit von Verständigung
„Frieden schaffen – mit Waffen?!“ – Dialogforum diskutiert aktuelle friedensethische Herausforderungen. Ratsvorsitzende zu Gast in Potsdam
Pressestelle der EKD, Carsten Splitt
Über aktuelle friedensethische Herausforderungen haben am Montag in der Garnisonkirche Potsdam die Besucherinnen und Besucher des Dialogforum „Frieden schaffen – mit Waffen?!“ mit Repräsentantinnen aus Kirche und Politik diskutiert. Im Zentrum stand die Frage, wie angesichts aktueller geopolitischer Bedrohungen Frieden gedacht und verantwortungsvoll gestaltet werden kann.
Die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Bischöfin Kirsten Fehrs, betonte die bleibende Bedeutung gewaltfreier Lösungen: „Die Priorität aller gewaltfreien Lösungen ist mir friedensethisch nach wie vor sehr wichtig.“ Doch angesichts der aktuellen Bedrohungslage sei eine Anpassung der friedensethischen Positionen notwendig: „Ohne die Möglichkeit zur Verteidigung von Leib und Leben – notgedrungen eben auch durch Waffengewalt – ist auch kein dauerhafter, verlässlicher und gerechter Frieden in Sicht“, so Bischöfin Fehrs. Derzeit arbeitet in der EKD eine vom Rat eingesetzte Gruppe des Kammernetzwerks an einem Grundlagentext zur evangelischen Friedensethik.
Mit Blick auf den russischen Angriffskrieg erklärte sie: „Dass wir es in Europa mit einem völkerrechtswidrig Krieg führenden Aggressor zu tun haben, der über Leichen geht und auch nicht zögert, mit dem Einsatz nuklearer Waffen zu drohen, können wir nicht einfach ignorieren.“ Die daraus resultierende Frage nach Abschreckung stelle die Friedensethik vor ein ernstes Dilemma.
Bischöfin Fehrs verwies auf das zerstörerische Potenzial eines Rüstungswettlaufs: „Moderne Waffensysteme haben ein irrsinniges Zerstörungspotential. Umwelt und Lebensgrundlagen werden auf unabsehbare Zeit zu Lasten von Generationen nachkommenden Lebens beschädigt.“ Das ethische Dilemma sei jedoch, dass eine einseitige Abrüstung bedeute, „dass man sich den Interessen eines so unberechenbaren Aggressors, wie es die aktuelle russische Führung ist, letzten Endes wehrlos aussetzen würde.“
Der Friedensbeauftragte der EKD, Bischof Friedrich Kramer, erinnerte an das Symbol des Igels auf Fahrzeugen der Bundeswehr in Zeiten des Kalten Krieges – Ausdruck eines defensiven Selbstverständnisses: Man könne sich wehren, werde aber nicht angreifen. Diese Haltung müsse auch heute über allem stehen, so Kramer. Die Entwicklung und Herstellung sowie den Einsatz und schon die Drohung mit Massenvernichtungswaffen lehnt er aus theologischen und ethischen Gründen grundsätzlich ab. „Hier von einem ‚atomaren Schutzschirm‘ zu reden halte ich für eine unangemessene Beschönigung der Dinge“, so Kramer. Die Aufgabe von Theologie und Kirche sei es, gewaltfreie Lösungswege nach jesuanischem Vorbild hoffnungsvoll zu verkünden und in der Praxis einzufordern.
Der frühere Wehrbeauftragte des Bundestags, Hans-Peter Bartels, forderte eine wirksame Abschreckung: „Nicht Schwäche garantiert heute Sicherheit, sondern glaubwürdige Abschreckung. Dafür sollte das transatlantische Verteidigungsbündnis möglichst eng beisammenbleiben. Auf Deutschland als bevölkerungsreichstes und wirtschaftsstärkstes Land in Europa kommt es dabei besonders an.“
Zum Dialogforum „Frieden schaffen mit Waffen?!“ eingeladen hatten die EKD, die Diakonie Deutschland, die evangelische Zukunftswerkstatt midi sowie die Garnisonkirche Potsdam. Die Veranstaltung ist Teil der Initiative #VerständigungsOrte, die von EKD, Diakonie Deutschland und der Zukunftswerkstatt midi getragen wird. Ziel ist es, Räume für gesellschaftlichen Dialog zu schaffen und aktuelle Konfliktthemen offen zu diskutieren.
Am Abend des 10. April 2025 fand in der Ludwigsburger Friedenskirche unter dem Titel „Ist das Boot voll? Ludwigsburg und seine Flüchtlinge“ das zweite große Dialogforum der Initiative #VerständigungsOrte statt. Die Initiative der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Diakonie Deutschland zusammen mit der Zukunftswerkstatt midi möchte Menschen zu polarisierenden Themen in unserer Gesellschaft zusammen- und ins gegenseitige Zuhören bringen.
Dass das Dialogforum den Nerv traf, zeigen die fast 200 Besuchenden unterschiedlichster Hintergründe, die in der Friedenskirche an diesem Donnerstagabend zusammenkamen, um miteinander zu sprechen. Die Einladung – u. a. auf Plakaten an der Bundesstraße – richtete sich an alle Menschen, die zum Thema Migration in Austausch gehen wollten. Dabei galt: Alle Meinungen können gehört werden – solange sie nicht beleidigend, menschenverachtend oder verfassungsfeindlich sind.
Nach einem eröffnenden Podiumsgespräch zwischen der ersten Bürgermeisterin Ludwigsburgs, Renate Schmetz, der CDU-Abgeordneten des Europäischen Parlaments, Andrea Wechsler, und der Regisseurin, Aktivistin und TV-Moderatorin Mo Asumang sprachen die Bürger:innen Ludwigsburgs miteinander. In kleinen Gesprächsgruppen erzählte man sich, wie es einem persönlich mit dem Thema Migration in Ludwigsburg geht. Ängste kamen ebenso zur Sprache wie Hoffnungen oder auch der Anspruch an sich selbst, konstruktiv eine Lösung mitzugestalten. „Endlich hört mir jemand zu“ - dieser Satz war an vielen Tischen zu vernehmen.
„Ich fand es besonders beeindruckend, dass an dem Tisch, an dem wir diskutiert haben, wirklich jeder zu Wort gekommen ist und erstmal seine persönlichen Gefühle darlegen konnte; und so mit dem ‚Heißreden‘ auch wirklich die Gefühle rauskamen – wo man dann auch Ängste, Unsicherheiten und Vorbehalte an den Tag gebracht hat. Und sich dann aber auch wirklich die Zeit zu nehmen, dem anderen zuzuhören – das ist so gut gelungen. An unserem Tisch wollten wir gar nicht aufhören zu reden“, schildert Renate Schmetz.
Am Ende bedankten sich viele der Teilnehmenden, dass die Friedenskirche diesen offenen Dialog ermöglicht hatte. Sie waren überrascht, dass es auch bei einem so brisanten Thema möglich gewesen war, einander ruhig und konzentriert zuzuhören und die verschiedenen Meinungen auszuhalten. „Kirche macht hier wirklich, was sie machen sollte: Sie bringt Menschen zusammen. Und das ist sehr, sehr wichtig. Und vor allem bringt sie Menschen zusammen, die eine ganz unterschiedliche Meinung haben. Weil: Da prallen Welten aufeinander, da wird man getriggert – und das muss man tatsächlich üben. Das ist ein toller Lernort geworden hier in der Kirche“, so Mo Asumang.
„Es war ein sehr gelungener Abend“, urteilten auch die Initiatoren Pfarrer Martin Wendte von der Friedenskirche und Tobias Kirchhof, Referent bei der Zukunftswerkstatt midi, und fügten hinzu: „Aber das ist nur der Anfang. Die Initiative #Verständigungsorte beginnt erst, Fahrt aufzunehmen. Viele Kirchengemeinden und diakonische Einrichtungen wollen die Idee aufnehmen und fortsetzen.“
#VerständigungsOrte ist eine Initiative der Evangelischen Kirche in Deutschland, der Diakonie Deutschland und der Evangelischen Zukunftswerkstatt midi – www.verständigungsorte.de.
Neuer Termin für #Verständigungsort: Anna-Nicole Heinrich beim Gaststätten-Talk zur Frage „Ist das noch meine Kirche?“
Carsten Splitt, Hannover: Die Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Anna-Nicole Heinrich, geht angesichts weiterhin hoher Austrittszahlen aus den christlichen Kirchen in Deutschland in die Offensive: „Die Kirche ist besser als ihr Ruf. Ihre Mitglieder leisten tagtäglich millionenfach unverzichtbare Beiträge zum gesellschaftlichen Miteinander in Deutschland. Und sie bewahren Jahrtausende alte Traditionen, die uns mehr denn je dabei helfen, aktuelle Krisen und Nöte zu überwinden.“ Dazu gehöre auch eine am Nächsten ausgerichtete Gesprächskultur. Heinrich warb im Vorfeld ihrer Teilnahme am Verständigungsort „Horch Amoal“ im fränkischen Lauf a. d. Pegnitz dafür, „Kirche auch dann weiter zu unterstützen, wenn sie einem mal gegen den Strich geht.“ An dem Talk, an dem neben ihr auch der Theologie- und Philosophieprofessor Ralf Frisch teilnimmt, wird in offener Runde die Frage diskutiert „Ist das noch meine Kirche?“.
Für Heinrich geht es dabei nicht um die Frage, wie Kirche im besten Fall sein solle, sondern wie man die unterschiedlichen Ansprüche miteinander vereinbaren kann. „Die Polarisierung, die in vielen Fragen derzeit in der Gesellschaft stattfindet, geht natürlich auch an der Kirche nicht spurlos vorbei. „Dem einen ist die Kirche zu links, der Nächste will überhaupt keine Äußerungen zu politischen Themen und der Übernächste wünscht sich einen noch kräftigeren Einsatz für Geflüchtete. Da geht es nicht nur in der Kneipe, sondern auch in den Gemeinden teilweise hoch her. Polarisierung lässt sich auch in der Kirche nicht einfach wegbeten“, so Anna-Nicole Heinrich. Die Augen davor zu verschließen, dass alle in der evangelischen Kirche unterschiedliche Ansprüche aus der Vielfalt des Evangeliums haben und einfach wegzurennen, sei aber auch keine Lösung. „Wir müssen konstruktiv miteinander im Gespräch bleiben und auch mal ein paar Meter in den Schuhen des anderen unterwegs sein“, schlägt Heinrich vor. Tatsächlich komme dem Gebet und der Liturgie, auf die Christ*innen zurückgreifen können, dabei aber eine Funktion zu, die anderen Institutionen nicht zur Verfügung stehen. „Da wo Dinge wirklich zerbrochen sind, wo Argumente und Diskussionen unmöglich erscheinen, haben wir in liturgischer Sprache, in Gebet und Gesang eine ganz andere Ebene, auf der eine Grundverständigung, eine Gemeinschaft noch bestehen kann. Das mag für einige befremdlich klingen, aber der Grundsatz ‘Im Anderen immer Jesus sehen‘ hat mich schon durch viele harte Diskussionen geführt“, so Heinrich. „Trotz gänzlich unterschiedlicher Auffassungen, müsse es gelingen, den anderen immer noch als Mensch mit seinen eigenen Anliegen und Sorgen wahr- und ernst zu nehmen. Diese Grundhaltung wünsche ich mir auch für die Gesellschaft insgesamt“, so die Präses.
„Hanau und die Anschläge – was bleibt und wie geht es weiter?“: Unter dieser Frage fand am Montagabend eine Diskussionsrunde mit Etris Hashemi, Überlebender des Hanauer Anschlags, Kirsten Fehrs, Bischöfin und Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche Deutschland (EKD) und Bürgermeister Dr. Maximilian Bieri in der Hanauer Marienkirche statt. Eine Veranstaltung des Kirchenkreises Hanau, bei dem Erinnerung und Blick nach vorne aufeinander trafen.
„Eine lebendige, demokratische Stadtgesellschaft braucht das Gespräch“, stellte Dekan Dr. Martin Lückhoff bei der Begrüßung der Gäste fest. „Sie braucht Orte und Formate, die ermöglichen, dass Menschen einander zuhören, nachfragen und miteinander ins Gespräch kommen.“ Dazu wolle die Evangelische Kirche in Hanau mit dem Dialogforum einladen. Auch wenn der 19. Februar ein Hanauer Ereignis sei, weise er doch weit über die Stadt hinaus. Zu verstehen, was geschehen sei und welche Folgen dieses schreckliche Ereignis für die neun Familie, eine Stadt und die bundesrepublikanische Gesellschaft habe, fordere immer wieder neu heraus. „Der Umgang damit bleibt eine gesamtgesellschaftliche Gestaltungsaufgabe.“
Wie wichtig es ist, sich an die Geschehnisse des 19. Februars 2020 zu erinnern, betonte auch Etris Hashemi. Sein Bruder Said Nesar Hashemi gehört zu den Opfern des Anschlags, er selbst überlebte schwer verletzt. „Erinnerung ist extrem wichtig, weil sie zugleich auch eine Mahnung für die Zukunft sein kann“, stellt er fest. Die schrecklichen Geschehnisse könne man nicht rückgängig machen. Aber es gehe darum, sie aufzuklären und daraus zu lernen. Dies könne helfen, vielen anderen Menschen ähnliches Leid, wie es die Opfer des Hanauer Anschlags erlebt haben, zu ersparen. Erinnerung, Aufklärung, Konsequenzen und Gerechtigkeit seien die Ziele gewesen, für die die Angehörigen der Opfer sich seitdem einsetzen. Nicht immer sei man dabei mit der Politik einer Meinung, wie er feststellt. Etwas, das dazu gehöre und in Ordnung sei. Für die nun getroffene Entscheidung zum Mahnmal sei er dennoch dankbar: „Am Ende des Tages geht es auch darum, nach vorne zu schauen“, stellt er fest. Doch dafür müsse man auch auf das zurückblicken, was passiert sei.
Wie unfassbar dieses Ereignis für viele Hanauer und Hanauerinnen gewesen sei, fasst Bürgermeister Dr. Maximilian Bieri zusammen: Ein rassistischer Anschlag könne zwar passieren, aber in einer offenen, vielfältigen und multikulturellen Stadt wie Hanau sei die Wahrscheinlichkeit dafür kleiner als anderswo. „Das war damals das Grundgefühl.“ Die aufkommende Corona-Pandemie habe den Prozess des Zusammenfindens nach dem Anschlag jedoch erschwert. Auch wenn heute, fünf Jahre später, ein Großteil der Bürger nicht mehr täglich an das Attentat denke, gebe es dennoch eine große Mehrheit, die einen würdigen und guten Umgang mit diesem Ereignis wünscht. Hier habe man mit dem Haus der Demokratie und Vielfalt und der Gestaltung des Mahnmals etwas Gutes auf den Weg gebracht. Eine gute Erinnerungskultur sei dabei auch wichtig für Versöhnung und Verständigung, wie Bischöfin Fehrs ausführte. Sie könne dazu beitragen, dass das Geschehene nicht nur sinnlos gewesen sei sondern etwas, aus dem Kraft entstehen, die zur Veränderung führe. Dabei brauche es grundsätzlich aber auch eine größere Sensitivität für die Opfer ein größeres Bewusstsein für Rassismus. Die politische Instrumentalisierung von Anschlägen verurteilt sie klar. Menschen aus einem anderen Land zu helfen, hier eine neue Heimat zu finden, sei ein Grundwert der christlichen Religion.
Doch was könne man konkret tun, um solche Taten zukünftig zu verhindern? Auf die Frage von Moderator Dr. Siegfried Krückeberg gibt es leider keine einfache Antwort, wie auch Hashemi weiß. „Was wir aber machen können, ist, zu versuchen, dem vorzubeugen“, stellt er fest. Dabei hält er vor allem die Bildungsarbeit für ein wichtiges Instrument, um speziell die neuen Generationen zu erreichen. Es sei außerdem wichtig, Räume zu schaffen für Diskussion, Austausch und Erinnerung. Und es braucht eine klare gesellschaftliche Haltung, wie Bischöfin Fehrs betont: „Jede Form von Extremismus braucht unser Nein.“
80 Prozent der Menschen in Deutschland nehmen eine Spaltung der Gesellschaft wahr. Zu diesem alarmierenden Ergebnis kommt die Studie „Verständigungsorte in polarisierenden Zeiten“ von midi, der Zukunftswerkstatt von Diakonie und evangelischer Kirche. Die gefühlte Spaltung verläuft nach Ansicht der meisten Befragten zwischen einer kleinen Minderheit und einer großen Mehrheit.
Nur knapp die Hälfte der Befragten ist mit der Demokratie in Deutschland zufrieden. Zwei Drittel der Befragten sind über gesellschaftliche Entwicklungen oder Ereignisse verärgert, viele sogar wütend. Besonders gering ist das Vertrauen in politische Institutionen wie Parteien und die Bundesregierung.
Jeder dritte Befragte hat bereits erlebt, dass Diskussionen über polarisierende Themen unsachlich oder respektlos verlaufen, ein Drittel der Befragten hat schon einmal den Kontakt zu Menschen wegen kontroverser Themen eingeschränkt oder abgebrochen. Dies führt dazu, dass der Austausch über polarisierende Themen bewusst vermieden wird.
Hier setzt die Kampagne #VerständigungsOrte an, mit der Evangelische Kirche und Diakonie deutschlandweit Orte des Dialogs über gesellschaftliche Krisen und Konflikte schaffen.
Bischöfin Kirsten Fehrs, Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland: „Die Ergebnisse der Studie kann man durchaus als alarmierend bezeichnen. Die meisten Menschen in unserem Land spüren eine Spaltung. Und viele ziehen sich in ihre Blasen zurück. Als Kirche und Diakonie leiten wir daraus – und auch aus unserer biblisch-geistlichen Tradition – einen Auftrag und eine Verpflichtung ab. Wir wollen uns für Verständigung, Dialog und ein respektvolles Miteinander stark machen. Mit der Kampagne #VerständigungsOrte wollen wir dafür Räume schaffen und sichtbar machen.“
Rüdiger Schuch, Präsident der Diakonie Deutschland: „Es sind nicht nur äußere Faktoren wie der Krieg in der Ukraine, die vielen Menschen Angst machen. Auch rapide gesellschaftliche Veränderungen und eine zunehmende Einkommensungleichheit sorgen für Verunsicherung. Hier gilt es, genau hinzusehen und diese vielen Realitäten in den Blick zu nehmen, sie auszusprechen – und dann in einen Dialog zu kommen, auf Augenhöhe und mit Respekt. Denn: Wir brauchen weniger Konfliktarenen. Wir brauchen mehr Verständigungsorte!“
Dr. Klaus Douglass, Direktor Zukunftswerkstatt von Diakonie und evangelischer Kirche (midi): „Die Herausforderungen sind groß. Mit der Kampagne #VerständigungsOrte wollen Kirche und Diakonie im Jahr nach der Bundestagswahl den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken, der gefühlten Polarisierung entgegenwirken und tragfähige Antworten auf die Frage liefern: Wie wollen wir in Deutschland zukünftig gemeinsam leben?“
Im Rahmen der Kampagne bieten Kirchengemeinden und andere kirchliche und diakonische Einrichtungen Orte zum Austausch über gesellschaftliche Krisen und Konflikte an. Die Kampagne unterstützt die Verantwortlichen vor Ort mit Tipps, Material, Praxisbeispielen und digitalen Coachings. Außerdem finden 2025 sechs #VerständigungsOrte-Dialogforen mit prominenten Gästen zu den Themen Migration, Frieden, Corona, Klima, Minderheiten und rechtsextreme Gewalt statt.