The Chemicals between us
Von 2013 bis 2019 verantwortete ich den Bereich Bildung bei der Berliner Stadtmission. Seinerzeit wollte ich mir ein Bild von digitaler Bildung mit Kindern verschaffen, und lernte so eines Tages Verena Pausder kennen. Mit ihrem Startup Fox & Sheep und als Begründerin der HABA-Digitalwerkstätten gilt sie als Pionierin im EdTech-Sektor. Sie ist Spiegel-Bestsellerautorin und zählt zur Forbes-Liste der 50 einflussreichsten Frauen Europas im Tech-Sektor. Sie ist zweifelsfrei eine Vordenkerin der digitalen Revolution. Wie Steve Jobs ist sie ein kreativer Kopf und Unternehmerin zugleich.
Sie wurde unter anderem deshalb erfolgreich, weil es der Gründerin gelang eine Unternehmenskultur zu schaffen, in der Ideen; ja letztlich Menschen aufblühen können. Ihr Beispiel zeigt, dass es heute längst nicht nur auf operative Wettbewerbsfähigkeit ankommt, sondern in viel größerem Maße auf die kreative Wettbewerbsfähigkeit – die Fähigkeit von Organisationen, aber auch der Gesellschaft als Ganze, neue Ideen zu entwickeln, anzunehmen und erfolgreich umzusetzen. Dies erfordert vor allem Neugier. Die richtigen Fragen zu stellen ist wichtiger (und schwieriger) als die richtigen Antworten zu haben.
Peter Kruse, Gründer von nextpractice, schreibt in seinem bereits 2004 erschienenen Klassiker der Managementliteratur „Erfolgreiches Management von Instabilität“: „Zukunftsfähige Organisationen sind in der Lage, auf die wachsende Komplexität und Dynamik einer vernetzten Außenwelt mit einer Kultur zu antworten, in der eine Vernetzung der internen Strukturen jederzeit selbstverständlich möglich ist. Der härteste Erfolgsfaktor ist ausgerechnet der weiche Faktor der Unternehmenskultur. (…) Für die Zukunft wird offenbar eine nächste Stufe der organisatorischen Intelligenz erforderlich: die Bildung von horizontalen, hierarchiefreien und bereichsübergreifenden Netzwerken, in denen Einzelne und Teams in freier Dynamik miteinander kooperieren.“
Kultur, das ist die Vielzahl ungeschriebener Regeln, die eine Organisation ausmachen. Salopp gesagt: Kultur ist, wie eine Organisation tickt. Die vielen Gremien und Sitzungen in Kirche und Diakonie sind durchaus ein Faktor unserer Kultur - einer, der oft wenig Begeisterung auslöst, aber als unvermeidlich betrachtet wird. Oft bleibt jedoch die Kreativität auf der Strecke. Andacht und Gebet erlebe ich vielerorts so ritualisiert, dass sie mich selten berühren. Wann haben Sie zum letzten Mal ein Meeting erlebt, das Sie elektrisiert hat? Wo Sie dem Heiligen Geist, Gottes Kreativdirektor, live bei der Arbeit zuschauen konnten?
Google wollte es genauer wissen, was das Geheimnis erfolgreicher Teams ist. So startete das Digitalunternehmen die sogenannte Aristoteles-Studie, in deren Rahmen unternehmensintern mehr als 180 Teams beobachtet und befragt wurden. Der griechische Universalgelehrte erkannte als Erster, dass das Ganze mehr als die Summe seiner Teile ist. Allerdings hat wohl jeder von uns schon das Gegenteil erfahren: Meetings, wo das Potenzial einer Gruppe nicht annähernd zur Entfaltung gelangt; wo Teammitglieder verdeckt oder offen gegeneinander arbeiten anstatt zu kooperieren. Wo der sprichwörtliche Elefant im Raum steht.
Wie kommen wir also vom Ich zum Wir; vom IQ zum WeQ? - Google fand zunächst heraus: Es kommt nicht darauf an, welche Personen einem Team angehören, sondern wie sie interagieren. Dann kristallisierten sich fünf Vitalfunktionen heraus, die Teams stark machen und über sich hinauswachsen lassen:
- Psychologische Sicherheit
- Verlässlichkeit
- Orientierung
- Sinnhaftigkeit
- (Selbst-)Wirksamkeit
Psychologische Sicherheit
Kreativität wird nur freigesetzt, wenn die Mitglieder eines Teams einander vertrauen können. Klingt banal, ist es aber nicht. Denn vieles scheint Menschen daran zu hindern, Vertrauen zueinander aufzubauen; sich von ihrer persönlichen Seite zu zeigen; der Mensch zu sein, der sie nun einmal sind. Sie haben feine Sensoren dafür, ob sie sich von ihrer Schokoladenseite präsentieren müssen, oder ob Offenheit für Fragen und Zweifel vorhanden ist.
Kreativität ist selten ein Soloalbum, sondern in der Regel Ko-Kreation. Sie gedeiht in einem Klima, in dem halbgare Ideen ausgesprochen werden dürfen, ohne schiefe Blicke zu ernten. Wo wir um Hilfe bitten oder Fragen stellen können, ohne zu riskieren, für unfähig gehalten zu werden oder Benachteiligungen fürchten zu müssen. Wo Fehlerfreundlichkeit und Empathie gemeinsam geteilte Werte sind.
Verlässlichkeit
Können wir uns darauf verlassen, dass Verabredungen und Zeiten eingehalten werden? Ziehen wir an einem Strang? Was motiviert jede und jeden das Beste zu geben und Verantwortung für die Performance des gesamten Teams zu übernehmen?
Orientierung
Hier geht es um Struktur und Klarheit: Sind allen die Ziele, die Rollen und die Entscheidungsprozesse im Team klar? Haben alle die gleichen Chancen sich zu beteiligen? Besteht Transparenz? Haben alle gleichberechtigten Zugang zu Informationen?
Sinn
Sind die Ziele unserer Zusammenarbeit nicht nur klar, sondern überzeugen sie auch? Arbeiten wir an etwas, das jedem persönlich wichtig ist? Bieten die Arbeitsergebnisse einen sinnstiftenden Mehrwert für die Gesellschaft über den wirtschaftlichen Nutzen hinaus? Sind wir innerlich Owner des Projekts, an dem wir arbeiten?
Selbstwirksamkeit/Einfluss
Und schließlich: Glauben wir daran, dass unsere Arbeit bedeutsam ist und einen Unterschied macht? Sind wir fest davon überzeugt, dass wir gemeinsam etwas bewegen, erreichen, verändern können - und erleben es auch?
Oft verläuft zwischen Ideal und Wirklichkeit jedoch ein garstiger Graben. Denn einer Studie des internationalen Analyse- und Beratungsunternehmens Gallup zufolge sind nur 15% deutscher Arbeitnehmer*innen am Arbeitsplatz engagiert. 70% sind unbeteiligt, der Rest unglücklich! Ich könnte mir vorstellen, dass Kirche und Diakonie etwas besser abschneiden als der Durchschnitt, weil bei uns viele Menschen arbeiten, die bewusst einer sinnstiftenden Tätigkeit nachgehen wollen. Aber wie viele Menschen gibt es auch bei uns, bei denen das innere Feuer im Laufe der Jahre erloschen ist und die aus der tiefen Furche der Gewohnheit nicht mehr herauskommen?
Fokussieren wir uns also darauf, wie wir eine Veränderung initiieren können. Beginnen wir mit kleinen Schritten. Zum Beispiel, indem wir zu Beginn eines Meetings Raum geben, um ein persönliches Erlebnis miteinander zu teilen; um Anteil zu geben an dem, was die Einzelnen beschäftigt. Selbstverständlich wird von niemandem erwartet, sein Innerstes nach außen zu kehren, sondern lediglich darum einen kleinen Beitrag zu leisten, um die Verbundenheit untereinander zu stärken. Wer wagt, etwas mehr von sich zu geben, als man es normalerweise tun würde, kann das Eis brechen. Auch eine spirituelle Intervention, z.B. ein stilles Innehalten und Raum geben für den Heiligen Geist; eine Zeit, in der wir einen Bibeltext zu uns sprechen lassen anstatt über ihn zu sprechen; ein Gebet, sofern es authentisch ist und das vielleicht in der Luft liegende Unausgesprochene in behutsame Worte kleidet, kann ein Team auf einer tieferen Ebene miteinander verbinden und sensibel werden lassen für Gottes schöpferische Kreativität.
Bei Teams, die achtsam sind für die beschriebenen Prinzipien gelingender Zusammenarbeit, stehen die Chancen gut, mehr Kreativität und Flow, Freude und Zufriedenheit zu erleben. Und sie erzielen schließlich qualitativ bessere Arbeitsergebnisse.
Kleiner Praxistipp zum Schluss: Die midi-Toolbox Gremienspiritualität bietet eine Fülle von Ansätzen, um die Zusammenarbeit in Teams und Gremien lebendiger zu gestalten und mit der Kraft des Heiligen Geistes mehr zu rechnen.