AbiSegen
Der AbiSegen in Ludwigshafen am Rhein
Gleich zu Beginn ein Geständnis: Die Idee ist nicht von mir! Ich wurde inspiriert – im besten Sinne des Wortes – von einem Projekt, das der Stuttgarter Stadtjugendpfarrer bei einer Tagung der Bundesarbeitsgemeinschaft evangelischer Stadtjugendarbeit (BES) im März 2017 vorgestellt hat:
Der Prüfungssegen
In Württemberg wird dieser ökumenisch verantwortet und in mehreren Städten als ein zentraler Gottesdienst am Tag vor den schriftlichen Klausuren durchgeführt. Dazu kommen dann nicht nur Abiturient:innen, sondern auch viele Menschen, die vor ganz anderen Prüfungen stehen (Führerschein, Abschlussprüfungen einer Ausbildung etc.).
Mit einem Zentralabitur, wie es das in Baden-Württemberg gibt, funktioniert das ganz gut. In Rheinland-Pfalz gibt es kein Zentralabitur – es war also klar, dass wir das Konzept modifizieren müssen. Wir heißt in unserem Fall: Die Teams der evangelischen und der katholischen Jugendkirchen in Ludwigshafen.
Mir kam das Problem mit dem fehlenden Zentralabitur ganz gelegen: ich wollte gar keinen zentralen Gottesdienst anbieten, weil der mir wieder zu typisch für Kirche war: sie lädt ein, öffnet ihre Türen weit und wartet darauf, dass jemand zu ihr kommt.
Kirche bringt „Rundum-sorglos-Paket“ in die Schulen
Inhaltlich hat mich das Konzept jedoch begeistert: eine Andacht anlässlich der Abiturprüfungen und der Möglichkeit zum Einzelsegen am Schluss. Wir haben das Konzept dann insofern modifiziert, dass wir den Schulen ein „Rundum-sorglos-Paket“ anbieten können:
Ein ökumenisches Team kommt im Rahmen einer Unterrichtsstunde oder der Mittagspause mit allem, was nötig ist, an die Schule, braucht nur einen etwas ansprechenden Raum (wobei wir auch schon in normalen Klassenräumen waren – und das hat auch funktioniert) – und fertig ist der AbiSegen!
Wir haben ihn so getauft, weil wir ihn bisher nur für Abiturjahrgänge anbieten. Das soll nicht so bleiben – wir arbeiten gerade an den Modifikationen für andere Abschlüsse bzw. Schwellen, um es auch an anderen weiterführenden Schulen, berufsbildenden Schulen, ggf. sogar Hochschulen anbieten zu können.
Das Angebot ist eingeschlagen wie eine Bombe.
Wir wollten klein anfangen – und das Angebot ist eingeschlagen wie eine Bombe: nach drei Durchgängen von Winter 2017/18 bis Winter 2019/20 fehlen uns in Ludwigshafen nur noch ein Gymnasium und eine Integrierte Gesamtschule – alle anderen Schulen haben uns (zum wiederholten Mal) für den AbiSegen eingeladen.
Der AbiSegen ist ein Schwellenritual
– an vermutlich der wichtigsten Schwelle im Leben von jungen Menschen. Das war früher die Konfirmation: der Übergang von der Jugend ins Erwachsenenalter, der Eintritt ins Berufsleben. Mit etwa 14 Jahren ist das bei den Jugendlichen heute keine Schwelle mehr. Viel wichtiger, viel existenzieller ist die Schwelle aus der Schule ins … ja, wohin eigentlich?
In die Freiheit, die Zeit der eigenen Entscheidungen, der Wahlmöglichkeiten, der Verantwortungsübernahme für das eigene Leben – egal ob das Studium, Ausbildung, Bundesfreiwilligendienst, ein Jahr im Ausland oder etwas anderes ist – das Leben ist danach nicht mehr wie davor.
Das Bedürfnis nach Begleitung, nach einem Ritual, nach Segen ist immens!
Über die Hälfte derjenigen, die zur Andacht gehen, nimmt das Angebot des Einzelsegens am Schluss der Andacht wahr. Wir bieten den in protestantischer Freiheit an: mein katholischer Kollege mit Handauflegung auf den Kopf und ich mit Blickkontakt und Hand auf der Schulter.
Strahlende Gesichter und überschwänglicher Dank
Nach den Erfahrungen der letzten drei Abiturjahrgänge kann ich sagen: Der AbiSegen ist mir zur liebsten Veranstaltung in meinem Terminkalender geworden. Immer wieder freue ich mich, wie viele junge Menschen unserer Einladung nachkommen. Und immer wieder bin ich überrascht, mit wie viel mehr ich selbst aus dem AbiSegen rausgehe:
Abiturient:innen kommen zum Einzelsegen, denen man das nie zugetraut hätte. Strahlende Gesichter am Ausgang, überschwänglicher Dank und Ergriffenheit begegnen uns und ich weiß wieder, warum ich meinen Beruf liebe.
Für mich zeigt der AbiSegen ganz besonders:
Wir brauchen mehr Geh-Strukturen in der Kirche.
Wir müssen unsere sicheren Kirchen-Trutzburgen verlassen. Wir müssen zu den Menschen, an die Punkte in ihrem Leben, an denen sie uns brauchen, und ihnen etwas geben, was nur wir können: Kein Sportverein, kein Orchester, kein anderes (nicht-religiöses) Freizeitangebot kann den jungen Menschen in dieser Situation das geben, was wir können: Segen zusprechen, ihnen die Zusage weitergeben, dass Gott mit ihnen ist. Dass sie nicht allein sind auf ihrem Weg.
Wir sind Spezialist:innen für Segen
Wir spüren den Effekt nicht – der AbiSegen nützt uns als Jugendkirchen in Ludwigshafen am Rhein nicht. Im Gegenteil. Die meisten Abiturient:innen verlassen nach der Zeugnisverleihung die Stadt. Aber sie haben immerhin einmal in ihrem Leben eine positive Erfahrung mit Kirche gemacht: Kirche, die zu ihnen kommt (worüber sie sich unglaublich freuen!), die nichts von ihnen will. Kirche, die extra etwas für sie macht, sie sieht, ihre Ängste und Sorgen wahr- und ernstnimmt, für sie da ist.
Wir säen bei diesem AbiSegen etwas, von dem wir nicht wissen, ob es aufgeht. Aber ich finde, von dieser ängstlichen Kosten-Nutzen-Rechnung sollten wir uns verabschieden.
Wir sind Spezialist:innen für Segen – immer raus damit!