Netzwerkperspektive
Katalysator für Kirche und Theologie
Die Netzwerkperspektive hilft dabei, Chancen und Herausforderungen einer missional und regional wirksamen Kirche neu in den Blick zu nehmen. Für Theologie und Kirche kann die Berücksichtigung von Netzwerken wie ein Katalysator wirken. Der Kirche Jesu ist die Wahrnehmung und Gestaltung zwischenmenschlicher Beziehungen ein zentrales Anliegen. Kommunikation des Evangeliums findet im Nahbereich statt (ohne auf diesen begrenzt zu sein), sie baut auf Beziehungen, Nähe, Austausch und Zugänglichkeit – all das geschieht in Netzwerken. Die V. EKD-Erhebung über Kirchenmitgliedschaft hat das deutlich gezeigt.
Methode und Metapher
Nützlich ist die Unterscheidung zwischen dem Netzwerk als Metapher und der Netzwerktheorie als Methode.
Methode in der Soziologie
Im soziologischen Diskurs gibt es eine Vielzahl von theoretischen und empirischen Zugängen zum Netzwerk, „die“ Netzwerktheorie existiert bislang nicht. So ist z.B. die Netzwerkanalyse eine Methode zur Beschreibung und Sichtbarmachung sozialer Beziehungen und Beziehungsmuster mittels graphischer Darstellung und mathematischer Berechnungen.
Metapher in der Theologie
Theologische Überlegungen zum Netzwerk arbeiten häufig mit metaphorischen, biblischen Assoziationen. Dabei wird die Methodik aus der Soziologie mitunter außen vor gelassen. Es handelt sich eher um eine assoziative, theologische Begriffsaneignung, als um die Integration eines sozialwissenschaftlichen Konzeptes für die Theologie.
Hat die Netzwerkperspektive einen Mehrwert für die Kirche?
Wird Glauben (nach C. Glock) als Habitus (Lebensstil, nach P. Bourdieu) betrachtet, dann öffnet die Netzwerkperspektive für die kirchliche Praxis den Blick:
- auf die Beziehungsqualitäten,
- auf die Resonanzräume des Glaubens
- und auf die Attraktivität seiner sozialen Beziehungen.
Kirche aus der Netzwerkperspektive hat nicht (nur) die starken Bindungen von aktiven, engagierten und mit der Gemeinde hoch verbundenen Menschen im Fokus. Es sind vor allem die sogenannten „strukturellen Löcher“ innerhalb eines Netzwerkes und die schwachen Bindungen, die Potentiale offenbaren und blinde Flecken kirchlicher Praxis sichtbar machen.
Blick hin zu den Rändern der Gemeinschaft
Durch die Netzwerkperspektive werden die Beziehungsstrukturen im gesamten Sozialraum und nicht nur im Binnenraum der Kirche abgebildet. So kommen Bereiche des Sozialraums in den Blick, die von einer Kirchengemeinde bislang eher als peripher wahrgenommen wurden. Das eröffnet die zentrale Chance, Menschen an den Rändern der Gemeinschaft Beachtung zu schenken, so wie es Jesus von Nazareth im Neuen Testament vorgelebt hat.
Alle Hoffnung auf Netzwerke setzen?
Die Frage nach der kirchlichen Verbundenheit erhält durch die Netzwerkperspektive eine neue Qualität. Denn Verbundenheit orientiert sich hier nicht an hierarchischen Strukturen einer Institution, Organisation oder an der Mitgliedschaft, sondern folgt der Logik von Netzwerken. Die Funktionsweise solcher Netzwerke ist die des aktiven Operierens und weniger die der Verfestigung von Strukturen (H. Eder, 2012).
Mit Netzwerken verbindet sich häufig die Hoffnung, verkrustete Strukturen neu zu beleben. Ihnen wird zugeschrieben, dezentral, plural, flexibel, innovativ und kreativ zu sein. Dabei gerät leicht außer Acht, dass solche Netzwerke erst gestaltet werden müssen.
Denkanstöße
- Hat die Kirche in ihrer Geschichte immer auch oder sogar primär netzwerkartig gearbeitet, Netzwerke aber zu selten theologisch reflektiert bzw. gewürdigt?
- Sind Netzwerke ein Modus, in dem die kirchlichen Systemlogiken Bewegung, Institution und Organisation (E. Hauschildt/U. Pohl-Patalong, 2013) unterschiedlich stark arbeiten oder mit dem sie nicht kompatibel sind? Sind Netzwerke vielleicht sogar eine weitere Systemlogik von Kirche?
- Netzwerke entsprechen einer offenen pluralisierten Gesellschaft viel stärker als die anderen kirchlichen Systemlogiken. Sie könnten eher mit Offenheit und Neugier rechnen, sind also missionaler als Institution, Organisation oder Bewegung, aber auch fragiler, unverbindlicher und zeitgebundener.
Kontakt
Daniel Hörsch ist Ihr Ansprechpartner für das Thema Netzwerkperspektive.
Literatur
- Heinrich Bedford-Strohm, Volker Jung (Hg.), Vernetzte Vielfalt. Kirche angesichts von Individualisierung und Säkularisierung. Die fünfte EKD-Erhebung über Kirchenmitgliedschaft. Gütersloh 2015.
- Hartmut Eder, Kirche als pastorales Netzwerk. Chancen und Konsequenzen einer operativen Kirchenkonzeption. Wien 2012.
- Daniel Hörsch, Hans-Hermann Pompe, Kirche aus der Netzwerkperspektive. Metapher – Methode – Vergemeinschaftungsform. Leipzig 2018.
- Felix Roleder, Birgit Weyel, Vernetzte Kirchengemeinde. Analysen zur Netzwerkerhebung der V. Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung der EKD. Leipzig 2019.
- Claudia Schulz, Kirche als Netzwerk betrachtet. Spiegelbilder einer relationalen Praktischen Theologie. In: Praktische Theologie (51) 2016, S. 140-147.
- Miriam Zimmer, Matthias Sellmann, Barbara Hucht, Netzwerke in pastoralen Räumen. Wissenschaftliche Analysen – Fallstudien – Praktische Relevanz. Würzburg 2016.