Diakon*innen in kirchlich-multiprofessionellen Teams

Erstmals fand am 19. Januar 2021 das etablierte digitale Fachformat „Agile Kirche und Diakonie“ (AKuD) in Kooperation von midi und dem Sozialwissenschaftlichen Institut der EKD statt. Die Veranstaltung sollte die Kompetenzen und Möglichkeiten der diakonischen Berufsgruppen für multiprofessionelle Teams beleuchten.

In vier Gruppen tauschten sich 30 Vertreter*innen aus Kirche, Diakonie und diakonischen Gemeinschaften aus. Im Folgenden finden Sie die Ergebnisse des Fachaustausches sowie ein Statement von Jens Schmitz (Ältester der Schwestern- und Brüderschaft des Ev. Johannesstifts, Berlin).

1. Diakonische Interprofessionalität in Verkündigung und Seelsorge

Tobias Kirchhof

Was ist die spezifische Professionalität, die Diakon*innen und Diakonissen in die (klassische) Kommunikation des Evangeliums einbringen?

Bevor diese Frage diskutiert wurde, stellte die Gruppe den „klassischen“ Verkündigungsbegriff in Frage. Dieser scheint immer noch zu stark vom Pfarramt her geprägt zu sein. In gemeindlichen multiprofessionellen Teams mit diakonischer Kompetenz verflüssigt er sich sehr schnell. Einerseits werden Gottesdienste anders – vielleicht sogar diakonischer – andererseits weitet sich der Blick dahin, was alles Verkündigung ist und sein kann: das Tischgebet in der Kita, das Segnen am Krankenbett, die Tafelarbeit usw.

Pfarrpersonen 2. Klasse

Die Augenhöhe in multiprofessionellen Teams in der Gemeinde ist oft nicht gegeben. Sei es, dass Diakon*innen ausschließlich in ihrer sozialen Profession akzeptiert werden, sei es, dass ihre spezifische geistliche Profession keine Anerkennung findet. So ist bspw. in nicht wenigen Kirchengemeinden immer noch zu beobachten, dass Diakon*innen in der Konfirmandenarbeit eingesetzt werden, die Konfirmation jedoch die Pfarrperson vollzieht.

Diakonische Verkündigung als Chance

Diakonische Verkündigung ist nicht nur die Verkündigung an diakonischen Orten (Pflegewohneinrichtung, Krankenhaus, Kita usw.) und mit diakonischen Mitteln (praktische Nächstenliebe). Sie ist auch eine Form der „leiturgia“ im engeren Sinne. Gottesdienste gewinnen durch einen diakonischen Ansatz und diakonisches Verkündigungspersonal neue Gestalt und Zielgruppen und helfen mit, den Gottesdienst über Milieugrenzen hinweg zum Zentrum der Gemeinde zu machen.

Verkündigung als Superadditum

Wenn Diakon*innen nicht in der Gemeinde, sondern in diakonischen Einrichtungen angestellt sind, dann gilt vornehmlich ihre soziale Qualifikation, nicht ihre geistliche. Ihre Kompetenz zur Verkündigung wird in der diakonischen Berufspraxis eher selten beachtet. Oft wird sie ehrenamtlich geleistet und nicht im Rahmen der Arbeitsverpflichtungen. Als Superadditum wird sie seitens des diakonischen Arbeitgebers gern in Anspruch genommen.

Neue Ordinationspraxis

Für den binnenkirchlichen aber auch diakonischen Kontext verbindet sich die Frage nach Multiprofessionalität in der Verkündigung auch mit der Frage der Ordination. Die Ordination gilt allen, die in den Verkündigungsdienst treten, egal ob musikalisch, diakonisch, bildungsbezogen oder als Gemeindeleitende.

Neue Ausbildungsformen

Wer Teamleistungen will, muss auch im Team ausbilden. Die Ausbildungspraxis von Theolog*innen, Gemeindepädagog*innen, Religionspädagog*innen, Kirchenmusiker*innen, Diakon*innen u.a. muss miteinander verschränkt werden, wenn diese Berufsgruppen später ergänzend zusammenwirken sollen. Hier gibt es bereits Ansätze in der jüngeren Kirchengeschichte der DDR, wo über eine gemeinsame Grundausbildung für alle kirchlichen Berufe nachgedacht wurde. Die Chancen eines solchen Modells sind zu nutzen.

2. Diakonische Interprofessionalität auf der Mittleren Ebene der Kirche

Gunther Schendel

Spezifische Chancen für Interprofessionalität

Auf der Mittleren Ebene gibt es spezifische Chancen für Interprofessionalität. Der Kirchenkreis, das Dekanat als „kleinste Ebene der Gesamtkirche“ (Jan Hermelink) eignet sich als Schnittpunkt verschiedenster kirchlicher Sozialformen und Logiken.

Wenn Ortsgemeinden, kirchliche Regionen, auf Kirchenkreisebene angesiedelte Servicestellen und sozialraumorientierte Formen der Einrichtungsdiakonie auftragsorientiert miteinander kooperieren, dann ergibt sich Interprofessionalität fast von selbst. Aber sie muss ausdrücklich gewollt und gestaltet werden.

Interprofessionalität ist eine Leitungsaufgabe!

Darum ist Interprofessionalität, die gemeinsame Arbeit von Menschen aus verschiedenen Berufen und mit unterschiedlichen Kompetenzprofilen, eine Leitungsaufgabe. Sie muss von den Superintendent*innen, Dekan*innen und Stellenplanausschüssen bewusst gewollt und gefördert werden. Das gilt deshalb, weil interprofessionelle Zusammenarbeit einen mehrfachen Bruch mit der bisherigen kirchlichen Kultur bedeutet.

So durchbricht Multiprofessionalität die bisherige Versäulung kirchlicher Arbeitsfelder und Berufsgruppen. Das Motto lautet: Nicht mehr nebeneinander, sondern miteinander! Die Ermöglichung und Förderung dieser Kooperation ist Leitungsaufgabe. Damit verbunden ist die Notwendigkeit einer partizipativen Leitungskultur, die noch nicht überall selbstverständlich ist. Wenn es um die Wertschätzung und Beteiligung der unterschiedlichen Professionalitäten geht, dann führt ein hierarchischer Leitungsstil nicht mehr weiter.

Konkurrenz gehört in den Blick

Das Leitbild der interprofessionellen Zusammenarbeit klingt verlockend. Leicht kann es die kirchentypische Sehnsucht nach Harmonie bedienen. Zur interprofessionellen Zusammenarbeit gehört aber auch Konkurrenz. Berufsgruppen konkurrieren um Gestaltungsmöglichkeiten, Definitionsmacht und Anerkennung. Mitarbeitende aus Berufsgruppen, die eine Aufgabe gefühlt schon immer gemacht haben, fragen sich, „warum die anderen das jetzt auch dürfen“.

Und aus der Perspektive der Stellenplanung kann es verlockend sein, Angehörige aus einer geringer bezahlten Berufsgruppe einzustellen, wenn die Arbeit „auch so“ erledigt werden kann. Die Konkurrenzthematik kann auf der Mittleren Ebene nur z.T. bearbeitet werden, weil es hier letztlich um das Gefüge der kirchlichen Berufe bzw. Professionalitäten mit ihren unterschiedlichen Laufbahnen und Entgeltgruppen geht.

Auf der Mittleren Ebene erscheint eine Kultur der Transparenz und der Partizipation weiterführend, um die unterschiedlichen Professionalitäten „leuchten“ zu lassen.

3. Interprofessionalität und diakonische Identität in der Diakonie

Katharina Seiler

Wie geht Interprofessionalität in den diakonischen Unternehmen?

Diese Frage diskutieren – sehr passend – zwei Diakoninnen, ein Theologe und Wirtschaftsrechtler, ein Pastor und eine Lehrerin.

Könnten wir doch zunächst mal die Statusdiskussion lassen! Diese Sorge der Diakon*innen, kleine Pastor*innen sein zu sollen. Und umgekehrt die Angst der Theolog*innen, sich von den pfiffigen Schwestern und Brüdern die Butter vom Brot klauen lassen zu müssen.

Im Gegenteil! Ein geklärtes Rollen- und Berufsverständnis und die gegenseitige Anerkennung der jeweiligen Kompetenzen hilft, die anstehenden Aufgaben in guter Kooperation – interprofessionell – zu meistern. Wir suchen ausdrücklich nicht die transprofessionelle Zusammenarbeit. Zu sehr verschwimmen die Grenzen – nicht alle sollen alles können!

Dabei hilft die Vorstellung, Kirche würde sich in den nächsten Jahren in Form eines Netzwerkes weiterentwickeln. Gebraucht wird Personal, das auf die Versäulung kirchlicher Strukturen und Handlungsfelder verzichten kann und damit die Chance auf adäquaten Umgang mit der wachsenden Komplexität ermöglicht.

Für die Norddeutsche überraschend: es gibt bereits strukturelle Ansatzpunkte für ein Zusammenwirken der Berufsgruppen auf Augenhöhe: Diakon*innen und Pastor*innen in der EKKW erleben gemeinsame Ausbildungsphasen. Diakonische Unternehmen in Berlin fragen bei Neueinstellungen eher nach Berufung als nach Berufsabschluss.

Wenn es gelingt, die Professions-Vielfalt nicht nur als Lippenbekenntnis vor uns her zu tragen, sondern sie als echte Bereicherung zu verstehen und entsprechend zu makeln, haben wir gewonnen.

4. Diakonische Interprofessionalität und kirchliche Sozialraumorientierung

Jens Schmitz

Eine der Leitfragen in der Gruppe zum Thema „Sozialraumorientierung von Kirchengemeinden“ war: Wie muss der oder die hauptamtliche Mitarbeitende zukünftig gestrickt sein, um in Kirche eine guten Job zu machen?

Diakoninnen und Diakone haben mit ihrer Ausbildung oder Studium zwei Professionen: eine soziale Qualifikation wie Sozialarbeiter*in oder Erzieher*in sowie eine diakonisch-theologische Ausbildung.

In der Vergangenheit und auch jetzt ist dieser Beruf – großkotzig gesprochen – „transprofessionell flexibel“. Je nach kirchlichem Arbeitsmarkt arbeitet man halt da, wo es gute Arbeit und/oder gute Teams gibt. Dieses Switchen zwischen Sozialwirtschaft und kirchlichem Binnenraum ist sowohl Kirche als auch Diakonie manchmal unbegreiflich: Was kann und macht denn eigentlich ein*e Diakon*in?

Diakoninnen und Diakone bringen aus dem Bereich der sozialen Arbeit Grunderfahrungen aus multiprofessionellen Teams mit; mit einer hohen Selbstverständlichkeit für Kooperationswillen, fachlichen Austausch und gemeinsame Reflexion.

Die eine Seite ist, was Mitarbeitende an Fähigkeiten und Haltungen mitbringen, um in multi-, inter- oder transprofessionellen Teams konstruktiv und kreativ wirken zu können. Die andere Seite ist, welche real existierende Kirche Mitarbeitende vorfinden: am Bestehenden festhalten, bedarfserfüllend, schon Netzwerk im Sozialraum oder gar Liquid Church?

Meine Erfahrungen in der Begleitung von Berufseinsteiger*innen ist, dass beide Seiten in einer wechselseitigen Dynamik stehen. Manchmal ist es eine negative, manchmal eine positive Dynamik. Fünf Punkte ohne Anspruch auf Vollständigkeit, was eine positive Dynamik ausmacht:

a. Freiräume?

Ja! Stellenbeschreibungen mit detaillierten Viertelstundenzuweisungen geben Sicherheit; grundsätzlich bin ich aber für 20 % Stundenanteil zur „freien Verfügung“, 20 % unverfügbarer Spielraum. Ein Gemeindekirchenrat, der sagt: „Machen Sie, was Sie wollen, aber machen Sie etwas. Und erzählen Sie uns davon.“

b. Verantwortung teilen und gemeinsam tragen.

Teams funktionieren gut, wenn Verantwortung besprochen und gemeinsam getragen wird. Deshalb:

c. Keine Machtspielchen.

Oft genug habe ich erlebt, dass plötzlich Hierarchien wie aus dem Nichts auftauchen oder Machtkarten gespielt werden. Geht eigentlich Interprofessionalität und Dienstaufsicht zusammen? Und wenn es ohne Hierarchien tatsächlich nicht gehen sollte, dann ehrlicherweise beim „Sie“ bleiben.

d. Unangepasstheit.

Berufseinsteiger*innen haben natürlich den Wunsch, „dazuzugehören“. Und das hat oft zur Folge, dass sie sich dem System anpassen, was wiederum das System freut. Positiv dynamisch wird es, wenn das Neue auch Raum hat, wenn Widerspruch und Verrücktheit erwünscht ist. (Und im Blick auf Ausbildung und Studium: Wie bildet man Widerspenstigkeit in Bachelor-Studiengängen aus?)

e. Selbstverständnis und Verständlichkeit.

Je reflektierter die Gemeinde arbeitet, desto leichter fällt es Berufseinsteiger*innen ihre Fähigkeiten und Gaben einzubringen und ihren Platz im multiprofessionellen Team zu finden.